Nach dem Rückzug von Ska Keller vor eineinhalb Jahren hatte neuerlich eine Deutsche den Vorsitz der europäischen Grünen übernommen – Terry (Teresa) Reintke. Zwischen den beiden Frauen liegen zwar nur fünf Jahre Altersunterschied, dennoch sprach man von einem „Generationenwechsel“. Er scheint sich bewährt zu haben: An diesem Wochenende wählten die Grünen bei ihrem Kongress in Lyon, bei dem auch Leonore Gewessler, Österreich-Kandidatin Lena Schilling und der Grüne Europachef Thomas Waitz teilnahmen, Reintke aus einem Vierervorschlag zur Spitzenkandidatin für die kommenden EU-Wahlen, ihr männliches Pendant ist der niederländische EU-Parlamentarier Bas Eickhout.

Reintke, die in einer Beziehung mit der französischen Senatorin Mélanie Vogel in Brüssel lebt, kam 2014 ins EU-Parlament und war damals, mit 27 Jahren, die jüngste Abgeordnete. Sie stammt aus Gelsenkirchen und bezeichnet sich selbst als „Kind des Ruhrgebiets“. Sie habe gesehen, „was es mit einer Region macht, wenn Industrie abwandert, die Schlangen vor den Arbeitsämtern länger werden, Sicherheiten im Leben der Menschen verloren gehen, und die Lebensleistung ganzer Generationen infrage zu stehen scheint“. Gleichzeitig sei ihr klar geworden, dass ein Wandel gelingen kann, wenn die Gesellschaft solidarisch zusammenhält und auf die Würde aller achtet.

Dementsprechend verläuft auch ihre bisherige Aktivität im EU-Parlament: Sie ist stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter sowie für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.

Vor den EU-Wahlen die Komfortzone verlassen

Der Parteikongress der Grünen mit mehr als 1.100 Delegierten aus ganz Europa begann am Freitag mit einem Auftritt der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Sie warnte, die Verteidigung von Freiheit und Demokratie seien entscheidend für die EU-Wahl im Juni. „Die Grünen stehen an der Seite der Menschen, die für Freiheit kämpfen“, sagte Reintke nach ihrer Wahl. Die Grünen würden auch an Seite der Ukraine stehen, „so lange es nötig ist“. Ein weiterer Schwerpunkt der Grünen ist der Kampf gegen die Klimakrise. Der „Green Deal“ sei die Basis für eine neue Wirtschaft, sagte Reintke. Die Grünen würden außerdem für sozial gerechtes Europa kämpfen. Sie rief ihre Parteikollegen dazu auf, „ihre Komfortzone zu verlassen“ in dem bevorstehenden EU-Wahlkampf. Es gebe das Risiko, dass es bei der EU-Wahl im Juni einen Rechtsruck gebe, aber es bestehe noch die Möglichkeit, das Ruder herumzureißen, sagte Reintke. Eickhout lobte die grüne deutsche Außenministerin Annalena Baerbock als Beispiel für den Mut der Grünen. „Wir werden die Faschisten bekämpfen“, versprach auch er.

Die Grünen sind damit die erste Partei, die ihre Spitzenkandidaten nominiert; für die Sozialdemokraten wird es wohl EU-Kommissar Nicolas Schmit werden, die Konservativen gehen aller Voraussicht nach mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ins Rennen. Diese Entscheidungen sollen Anfang März fallen.