Unbeeindruckt von Prognosen über einen möglichen Stimmengewinn rechter Parteien bei der Europawahl zeigt sich Martin Selmayr, der EU-Kommissionsvertreter in Österreich. Wenn die Umfragen stimmen, werde es wieder eine breite pro-europäische, demokratische Mehrheit im Europaparlament geben, sagte Selmayr am Donnerstag bei einem Pressegespräch in Wien. „Man muss sich immer sorgen, wenn Extremisten stärker werden“, doch gebe es auch gegenteilige Entwicklungen wie etwa in Polen.

Die Entscheidungen in der EU seien seit 2019 von einer Koalition von Europäischer Volkspartei, Sozialdemokraten und Liberalen getragen gewesen, so der EU-Kommissionsvertreter. Dabei sei das Programm mit den drei Schwerpunkten Digitalisierung, Green Deal sowie Asyl- und Migrationspakt zu 90 Prozent abgearbeitet worden, trotz zweier Krisen, der Covid-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Eine Priorität für die Zukunft sei eine noch stärkere EU-Unterstützung Kiews, sagte Selmayr. „Es geht um die Existenz der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung.“

Rund eine Milliarde Euro für Österreich aus Aufbaufonds

Österreich könne im laufenden Jahr mit zusätzlichen Zuschüssen in Höhe von rund einer Milliarde Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ rechnen, sagte Selmayr. Zu bedenken sei im Vorfeld der Europawahl auch, dass die nächste EU-Kommission bereits das nächste EU-Mehrjahresbudget von 2028 bis 2034 vorbereiten müsse.

Die Wahlen bezeichnete Selmayr als „Höhepunkt der Demokratie“, „wir sollten vor Wahlen keine Angst haben“. Die EU-Kommission sei nicht Wahlkämpfer für eine Partei, werde aber im Zuge des Urnengangs die Informations- und Faktenvermittlung verstärken, auch mittels Faktenchecks, kündigte der EU-Spitzenbeamte an. Das Problem Desinformation nehme die EU-Kommission „extrem ernst“, so Selmayr. „Die Gefahr ist deutlich größer geworden.“ Ein Grund dafür sei, dass es heute mehr geopolitische Auseinandersetzungen gebe als bei der vergangenen Europawahl 2019.

Selmayr will nicht über FPÖ-Abschneiden in Österreich spekulieren

Zurückhaltend zeigte sich Selmayr in Hinblick auf Prognosen, die der FPÖ in Österreich Zugewinne in Aussicht stellen. Die Kommission werde sich tunlichst zurückhalten, über einen Bundeskanzler Herbert Kickl (FPÖ) zu spekulieren, wenn die österreichische Bevölkerung noch gar nicht gewählt habe, antwortete der EU-Kommissionsvertreter auf eine entsprechende Frage. Es brauche eine „wehrhafte Demokratie gegen die Feinde der Demokratie“, dafür wären mündige Bürger das wichtigste. Bezüglich eines Wahltermins für die Nationalratswahlen und einer möglichen Zusammenlegung mit den Europawahlen sei die EU-Kommission „agnostisch“, dies sei nicht ihre Aufgabe.

Der Spitzenkandidat der FPÖ für die Europawahl, Harald Vilimsky, wies Selmayrs Aussagen seinerseits entschieden zurück. Dessen „Wahlempfehlung für die vereinte europäische Linke bestehend aus Sozialisten, Christlich-Sozialen und Liberalen“ sei „unqualifiziert und fehl am Platz“, so Vilimsky in einer Aussendung am Donnerstag. „Herr Selmayr vergisst anscheinend, dass er als Angestellter der EU-Kommission hier keine politischen Präferenzen oder sogar Wahlempfehlungen für Parteien abgeben darf.“ Vilimsky forderte von Selmayr zudem eine „Richtigstellung“ hinsichtlich seiner Kategorisierung, „was denn nun eine demokratische Partei in Österreich ausmache“. „Selmayrs stabile Mitte aus Sozialisten und Christlich-Sozialen trägt Mitschuld an der Destabilisierung Europas“, sagte der FPÖ-EU-Parlamentarier.

In Hinblick auf die Diskussion über „Remigration“ bei einem Treffen Rechtsradikaler in Potsdam betonte Selmayr, er sei froh, dass dies nur in Hinterzimmern diskutiert werde und nicht von den maßgeblichen politischen Kräften. Die EU-Kommission werde das Asylrecht in Europa weiterhin sichern und andererseits auch benötigte legale Zuwanderung organisieren. Man sollte „nicht immer nur auf die Extremisten schielen“.

Österreich laut Selmayr nicht EU-skeptischer geworden

Selmayr erwartet, dass die großen europäischen Parteien Spitzenkandidaten für die Europawahl aufstellen. Bei den Sozialdemokraten etwa laufe sich EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit warm. Er sei sich auch sicher, dass die EVP „eine sehr gute Kandidatin finden wird“, so Selmayr offenbar in Anspielung auf die amtierende EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Der EU-Kommissionsvertreter widersprach außerdem dem Bild, wonach Österreich besonders EU-skeptisch geworden sei. Die Zustimmung zur Europäischen Union habe sich seit dem EU-Beitritt nicht wesentlich verschoben und liege weiter um 66 Prozent. In Österreich werde „ein bisschen mehr gegrantelt und geraunzt“. Die Öffentlichkeit könne aber nicht die EU-Kommission alleine gewinnen, dazu bedürfe es auch der Unterstützung der Regierung, der Abgeordneten sowie der Landes- und Gemeindevertreter.