15 Festnahmen und einige hundert Verwaltungsstrafanzeigen wegen Nicht-Einhaltung der Corona-Maßnahmen hat es am Samstag im Zuge einer Demonstration gegen die Corona-Politik der Regierung in Wien gegeben. Im Verlauf des gesamten Einsatzes seien außerdem drei Polizisten verletzt und zwei Dienstkraftfahrzeuge beschädigt worden, teilte die Polizei am Samstagabend mit. Insgesamt habe es 22 Versammlungen gegeben, wovon sieben im Vorfeld untersagt worden seien.

Auf einschlägigen Social-Media-Kanälen wurde die “Mutter aller Demos” angekündigt, die gleichzeitig allerdings gar keine angemeldete Demo sein sollte. Die Rede war von einer Art Anti-Lockdown Party bei sonnigem Wetter im Schweizergarten unweit des Wiener Hauptbahnhofs ohne Bühne und Redner, dafür mit Musik, Luftballons und rot-weiß-roter Kinderschminke.

Doch es kommt, wie es kommen muss: Gegen 14.30 Uhr setzt sich die Menge in Bewegung. Alles drängt auf den Landstraßer Gürtel. Dort marschieren die Leute jetzt in Richtung Innenstadt.

Die Polizei sperrt rundherum ab. Über den Gürtel kommt die Menge in Richtung Hauptbahnhof also nicht weiter.

Die Menge dreht um und marschiert den Gürtel in die andere Richtung hinunter. Auch hier hat die Polizei inzwischen abgesperrt, am Ende des Schweizergartens ist Schluss. Und die Demonstration wird offiziell aufgelöst: Bis 15.20 Uhr haben die Leute Zeit, sich zu entfernen.

Beim Versuch des Durchbrechens einer Sperre kommt es zum programmierten Zusammenstoß mit der Polizei. Diese will ein Aufeinandertreffen mit einer Gegendemonstration verhindern. Nachdem die Demonstranten die Beamten mit Bierdosen beworfen haben und die Sperre durchbrechen wollten, wird auch Pfefferspray eingesetzt. 15 Demonstranten werden festgenommen, es gibt einige hundert Anzeigen. Drei Polizisten werden verletzt und zwei Polizeiautos beschädigt.

Die Lage ist wieder ruhig

Die Demonstration ist bereits als zu Ende erklärt. Das hindert die Demonstranten aber nicht, bei einer weiteren Straßensperre beim Belvedere durchbrechen zu wollen. Dazu werden Seile mit Karabinern verwendet, mit denen die Sperren aus der Verankerung gehoben wurden und wieder Bierdosen geworfen. Die Polizei setzt daraufhin erneut Pfefferspray ein. Gegen 16.00 Uhr hat sich die Lage dann vorerst beruhigt. Am Abend löste sich die Demonstration endgültig auf. 

Der Einsatz sei jedenfalls erfolgreich gewesen, so die Polizei: Man habe die Sperren aufrechterhalten und ein Zusammentreffen von Demonstranten und Gegendemonstranten verhindern können. Auch die Autobahnauffahrt sei gesichert worden. 

Die ÖVP charakterisierte die Demonstration in einer Aussendung als "Zusammentreffen von amtsbekannten Rechtsextremen, wirren Verschwörungstheoretikern, berüchtigten Corona-Leugnern und folgsamen Kickl-Sympathisanten", die "in zahlreichen tätlichen Angriffen" gegenüber der Polizei gegipfelt habe. ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer wertete die Teilnahme prominenter FPÖ-Politiker als Beleg dafür, "welch demokratie- und rechtsstaatsgefährdende Entwicklung die FPÖ unter Herbert Kickl eingeschlagen hat".

Und so begann es

Kurz nach 13 Uhr ist im Schweizergarten schon einiges los. Die Polizei ist auch schon da, hält sich zunächst aber im Hintergrund. Aktivist Martin Rutter bewegt sich durchs Grün wie im Gasthaus und begrüßt alle persönlich. Viele Schaulustige haben sich eingefunden, und andere, die sich einfach nur so im Park sonnen wollen.

Für alles gerüstet, die Masken hängen am Kinn.
Für alles gerüstet, die Masken hängen am Kinn. © Andreas Terler

Kurze Zeit später trifft auch Dagmar Belakowitsch ein, die FPÖ-Nationalratsabgeordnete. Die Freiheitlichen sind also wieder präsent. Jetzt wird auch die Exekutive aktiv: Kleinere Gruppen kommen von allen Seiten, kontrollieren die Picknicker, nehmen gegebenenfalls Anzeigen auf.

Auch Martin Sellner ist da, Sprecher der rechtsextremen Identitären. Die Polizei hat sich inzwischen im ganzen Park platziert, in kleinen Gruppen. Nicht auszuschließen, dass sich die ganze Menge irgendwann in Bewegung setzen wird.

Jetzt werden Feuerwerkskörper gezündet, viele. Und es folgt Applaus. "Kurz muss weg", wird vereinzelt skandiert. Die Rufe nach "Volkswiderstand" mehren sich.

Auch die Grüne Ex-Vizebürgermeisterin Birgit Hebein ist da. Macht sich ein Bild.

Noch ist es friedlich im Schweizergarten, auf dem Weg dorthin wurde es schon ungemütlich: In der U-Bahn randalierten betrunkene Maßnahmengegner, ohne Maske, versteht sich. Sie haben Rutters Vorab-Aufforderung, "einige Getränke" mitzunehmen, offenbar zu wörtlich genommen.

Neben Familien, der österreichischen Fahne und Bundesländer-Wimpeln sind auch Flaggen der Verschwörungstheoretiker-Gruppe QAnon zu sehen, dazu kommen zahlreiche Personen in Thor-Steinar-Outfits, einem Erkennungsmerkmal der rechtsextremen Szene. Die mit einem Großaufgebot vertretene Polizei hält sich immer noch im Hintergrund. Anfangs waren es rund 1.000 Menschen im Park, zum Schluss spricht die Polizei von rund 3.000 Teilnehmern und 1.000 Gegendemonstranten.

Die Österreich-Fahne winkt. Dazwischen finden allerdings auch Flaggen der anderen Art.
Die Österreich-Fahne winkt. Dazwischen finden allerdings auch Flaggen der anderen Art. © Andreas Terler

Umgekehrt sammelten sich schon zu Mittag im Votivpark antifaschistische Gruppen. Sie wollten anschließend eine Fahrraddemo abhalten.

© APA/HERBERT NEUBAUER

Kein Picknick, sondern Kundgebung

Laut Wiener Polizei handelt es sich bei der geplanten Zusammenkunft im Schweizergarten sehr wohl um eine angemeldete Kundgebung. Ob sie stattfinden kann, wird aber noch überprüft. Insgesamt wurden 22 Demonstrationen für Samstag angemeldet. Stand Freitagnachmittag wurden vier davon untersagt und eine zurückgewiesen. Bei den untersagten Demos handelt es sich um drei Kundgebungen am Heldenplatz sowie einen geplanten Spaziergang am Ring.

“Im Falle des Zuwiderhandelns muss mit der Auflösung solcher Versammlungen gerechnet werden. Dies zieht die sofortige Verpflichtung zum Auseinandergehen und ein Verbot des Weiterversammelns nach sich”, so ein Sprecher der LPD Wien. Wer gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung verstößt, habe außerdem mit empfindlichen Geldstrafen zu rechnen. Die Polizei rechnet wie schon im März März bei den letzten größeren Demonstrationen mit einem Großeinsatz. Über 1.000 Polizisten waren da im Dienst.

Proteste sollen "bewusst harmlos" wirken

Angekündigt wurden die Demonstrationen von den Organisatoren bewusst vage und widersprüchlich. “Aufgrund der Verbote ist eine Art Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Organisatoren und der Polizei entstanden”, sagt die Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig. Sie setzt sich in ihrer Arbeit unter anderem mit der Motivation der Demo-Organisatoren und -Teilnehmer auseinander und beobachtet die Szene seit längerem.

Einerseits werde immer auf bombastische Rhetorik gesetzt und jedes Mal die größte Demo aller Zeiten angekündigt. Andererseits betonen die Organisatoren, dass es sich lediglich um Spaziergänge und friedliche Zusammenkünfte handle, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Demo verboten wird. Dass nun insbesondere eine Art Sommerfest mit Kinderschminken und Luftballons propagiert wird, passe daher ins Bild, meint Brodnig: “Damit sollen die Proteste bewusst wohl harmloser und auch unpolitischer wirken. Auch weil zuletzt sehr oft darüber diskutiert wurde, wie viele Rechtsextreme daran teilnehmen.”

Vor amtsbekannten Rechtsextremisten bei den Demos warnte nach den letzten Demonstrationen in Wien im März auch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Diverse rechtsextreme Gruppierungen wie die Identitären, Hooligans und Holocaust-Leugner würden Demonstration als Plattform nutzen, “um ihre Hassbotschaften zu streuen”, so Nehammer, der dagegen ein entschiedenes Vorgehen der Polizei ankündigte.

Breites Spektrum an Corona-Kritikern

Rechte Gruppierungen sind aber nur ein Teil der aktiven Corona-Leugner und Maßnahmenkritiker. Die Szene reicht von Ärzten, die den wissenschaftlichen Konsens als Verschwörung darstellen und gegen Masken agitieren, über Anwälte, die PCR-Tests ablehnen und vor einer “Zwangsimpfung” warnen, bis hin zu Profis im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, die via Telegram, Whatsapp und Facebook unter anderem Videos über eine hereinbrechende “Hygienediktatur” verbreiten. 

Rund um die Organisation und Moderation der Demonstrationen zählt der ehemalige Kärntner Politiker Martin Rutterzu den wichtigsten Stimmen. Mit Social-Media-Nachrichten und -Videos ruft er regelmäßig zur Teilnahme an den Kundgebungen, wie etwa jener am Samstag im Schweizergarten, auf. Nach einer Demonstration vergangenen September, bei der auf einer Bühne eine Regenbogenfahne zerrissen wurde, verurteilte das Landesgericht Klagenfurt den ehemaligen Landtagsabgeordneten (Grüne, Team Stronach/Team Kärnten, BZÖ) wegen Verhetzung nicht rechtskräftig zu vier Monaten bedingt und einer Geldstrafe in Höhe von 800 Euro.

Dass sich mit Corona-Demos auch Geld verdienen lässt, hat in der Vergangenheit Alexander Ehrlich bewiesen. Der Wiener Busunternehmer meldete Demonstrationen nicht nur an, sondern organisiert Fahrten zu den Demos aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Für den Profit mache er das aber nicht, sondern für den Frieden, sagte er im Jänner der Tageszeitung “Der Standard”. Sein Unternehmen sei ohnehin dank deutscher und österreichischer Corona-Staatshilfen abgesichert. Am Samstag werde Ehrlich aber nicht an einer Demonstration teilnehmen, wie er diese Woche auf Telegram erklärte. Grund dafür seien Tendenzen innerhalb der Szene, die eine stärkere Gewaltanwendung bei den Märschen befürworten. Er betone aber, bedingungslos friedlich bleiben zu wollen.

Elf Prozent der Österreicher würden an einer Corona-Demo teilnehmen

Wie gut die Kundgebungen in Wien besucht sein werden, wird sich erst am Samstag zeigen. Dass es sich bei den Demo-Teilnehmern generell um einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung handelt, beweist eine aktuelle Studie des “Austrian Corona Panels” der Uni Wien. Laut dieser unterstützen lediglich 15 Prozent der Österreicher die Demonstrationen, nur elf Prozent würden selbst an einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen teilnehmen.

© Austrian Corona Panel/Uni Wien

“Das ist eine sehr kleine Minderheit”, sagt Ingrid Brodnig. Angesichts dieser Zahlen konnten sich die Demonstranten bislang viel Aufmerksamkeit verschaffen. “Man sieht bei politischen Streitthemen oft, dass es hyperaktive Gruppierungen gibt, die einfach aufgrund ihrer Vehemenz schaffen, sichtbarer zu sein. Gleichzeitig überschätzt man womöglich, wie groß sie sind”, so die Autorin.

Sobald die gesundheitliche Krise überwunden ist und dauerhafte Öffnungsschritte vollzogen werden können, wird die Bewegung noch kleiner werden, glaubt sie: “Das große Vereinende der Demonstranten ist die Unzufriedenheit mit den Maßnahmen. Sobald die emotionale Belastung durch das Virus zurückgeht, werden auch viele der auf Demos verbreiteten Erzählungen ihre Anziehungskraft verlieren.”