Bis zum letzten Augenblick hatte die EU-Kommission ein Geheimnis aus ihrem Rettungsplan für die europäische Wirtschaft gemacht, dann gelang ein Paukenschlag. Präsidentin Ursula von der Leyen schlug vor den inzwischen wieder stärker besetzten Reihen des Europäischen Parlaments ein wirtschaftliches Wiederaufbau-Programm in Gesamthöhe von 750 Milliarden Euro vor. 500 Milliarden sollen den am meisten betroffenen Ländern als nicht rückzahlbare Zuschüsse zukommen, 250 Milliarden stehen zusätzlich als Kredite nach Bedarf zur Verfügung.

Der EU-Haushalt habe immer aus Zuschüssen bestanden, versuchte von der Leyen besonders die Bedenken der „sparsamen Vier“ (Österreich, Dänemark, Schweden, Niederlande) zu entkräften, die in einem Gegenpapier zum 500-Milliarden-Euro-Vorschlag von Angela Merkel und Emmanuel Macron auf einer reinen Kredit-Lösung bestanden. „Die Zuschüsse sind eine gemeinsame Investition in unsere Zukunft“ und hätten mit den Schulden der Vergangenheit nichts zu tun, sagte die Kommissionschefin. Und sie erneuerte das Argument, dass ein Nicht-Handeln mittel- und langfristig weitaus teurer käme.

Das Geld soll auf dem Kapitalmarkt aufgenommen und langfristig, bis 2058, zurückgezahlt werden. Die Kommission will für die Finanzierung des Schuldendienstes den Eigenmittelanteil der EU erhöhen und hofft auf künftige Einnahmen durch eine Ausweitung des Emissionshandels, eine CO2-Grenzsteuer oder eine Digitalsteuer; gehen die Pläne auf, könnte sich die riesige Summe quasi selbst finanzieren. Allerdings ist Streit vorprogrammiert, der Weg dorthin ist lang.

Bei der Aufteilung des Geldes soll der Großteil an Italien (82 Milliarden als Zuschüsse, 90 als Kredite) und Spanien (77 Milliarden/63 Milliarden) gehen, danach folgen Frankreich, Polen, Deutschland und Griechenland. Österreich bekäme eine nicht rückzahlbare Hilfe von mehr als vier Milliarden Euro.

Nächste Generation

Das Finanzinstrument unter dem Titel „Next Generation EU“ („Nächste Generation EU“) ist an den mehrjährigen Finanzrahmen MFR gekoppelt, der von 2021 bis 2027 läuft und nun von den Mitgliedsländern im selben Atemzug beschlossen werden soll. Der Rahmen hält sich an die ursprüngliche Prognose von rund 1,1 Billionen Euro und bleibt weiterhin an den „großen Zielen“ der EU festgemacht, also etwa dem „grünen Deal“ und der Digitalisierung. Rechnet man auch noch die bereits beschlossene Soforthilfe für 2020 in Höhe von 540 Milliarden Euro dazu, kommt man auf insgesamt rund 2,4 Billionen Euro – eine stattliche Summe.

Argwohn erregt dieses Instrument vor allem bei den EU-Kritikern, die monieren, dass Brüssel auf diese Weise zum Drehkreuz für das Geld und somit aufgewertet wird. In der Kommission betont man, dass nur so sichergestellt werden könne, dass die Mittel kontrolliert zur Bekämpfung der Pandemie-Folgen eingesetzt werden können und nicht – wie auch Kanzler Sebastian Kurz fürchtet – zur Vergemeinschaftung alter Staatsschulden verwendet werden. In einem Pressegespräch unmittelbar nach der Präsentation sagte Monika Hohlmeier (CSU), Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im EU-Parlament, der Vorschlag sei „eine historische Chance für mehr Zusammenhalt in Europa“. Die Mittel müssten allerdings zielgerichtet eingesetzt werden: „Altschulden dürfen damit nicht bezahlt werden. Die Lockerung vieler Regelungen und die schnelle Mobilisierung aller Mittel sind richtig, aber bergen erhebliche Risiken für Missbrauch und Ausnutzung. Wir brauchen klare Vorschriften.“

Jetzt haben die Mitgliedsländer drei Wochen Zeit, die Pläne im Detail zu bewerten und beim Juni-Gipfel darüber zu beraten. Eine Entscheidung, ob und wie das Paket angenommen wird, könnte auch noch bei einem Sondergipfel zum Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft Anfang Juli fallen, danach müsste alles aber noch durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden. Der harte Teil der Verhandlungen steht also noch bevor. Im MFR soll auch Rechtsstaatlichkeit verankert werden, ein weiteres heißes Streitthema. Leicht möglich auch, dass einzelne Länder ihre Vorbehalte erst im Tausch gegen Bevorzugungen aufgeben – etwa in Form von Beitragsrabatten.

Rabatte und Sonderwünsche

Dazu von der „Kleinen Zeitung“ befragt, sagte Ursula von der Leyen, sie habe sehr viel Zeit und Gespräche darauf verwandt, wie man die Programme anlegen könne. Sie habe bis zuletzt mit allen, auch den „sparsamen Vier“ gesprochen und es sei klar, wo die Vorbehalte liegen. Von der Leyen: „Das ist das Schöne an der EU, dass auch eine große Heterogenität unter einem Dach einen gemeinsamen Weg findet.“ Was Rabatte betrifft, so seien viele Themen auf dem Tisch: „Es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn die vier Länder Rabatte wollen, es kommen auch andere Länder mit ihren Vorstellungen – das gehört dazu. Wir müssen eine gute Balance finden, dass wir Einigkeit darüber herstellen, wie wir die Belastung ausgleichen können.“