Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und mit ihr Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) geraten immer stärker ins Visier jener, die viele Corona-Maßnahmen als juristisch problematisch erachten. Zumal Edtstadler die Verantwortung dafür zuletzt Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) in die Schuhe geschoben hatte und viele Beobachter darin ein erstes, tiefergehendes Zerwürfnis zwischen den Koalitionspartnern ÖVP und Grünen sehen.

Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk bewertet es im Gespräch mit der Kleinen Zeitung als "überraschend", dass Edtstadler versucht, sich mit der Berufung auf eine Nicht-Zuständigkeit aus der Affäre zu ziehen. Der Verfassungsdienst sei im Kanzleramt angesiedelt, und auch wenn er als Sektion formal weisungsabhängig sei, sei er traditionell als unabhängig agierende Einrichtung anerkannt.

Bernd-Christian Funk: Ortet in der Vorgangsweise von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler einen "Ausdruck des schlechten Gewissens"
Bernd-Christian Funk: Ortet in der Vorgangsweise von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler einen "Ausdruck des schlechten Gewissens" © APA/GERT EGGENBERGER

Es habe immer wieder Zeiten gegeben, in denen die Einschätzungen des Verfassungsdienstes einzelnen Regierungsmitgliedern nicht angenehm gewesen seien, "aber was ich zum ersten Mal erlebe ist, dass man sagt, Verordnungen und Erlässe gehen den Verfassungsdienst gar nichts an, sondern tangieren nur ein einzelnes Ressort", so Funk. Er interpretiere dies als Ausdruck des schlechten Gewissens angesichts der nun in die Kritik geratenen Vorgangsweise.

"Zu wenig Zeit" kein Argument

Auch das Argument Edtstadlers, es wäre zu wenig Zeit dafür gewesen, den Verfassungsdienst zu beschäftigen, zieht nicht in den Augen Funks. "Der Verfassungsdienst ist es gewohnt, sich sehr rasch äußern zu müssen. Die zeitliche Knappheit ist keine Rechtfertigung. Es spricht manches eher dafür, dass man gemeint hat, man wolle das jetzt einfach genau so machen, und der Rat, allenfalls auch die Kritik des Verfassungsdienstes, könnten störend sein."

Der ehemalige Präsident des Verwaltungsgerichtshofes und Kurzzeit-Justizminister Clemens Jabloner hatte in Reaktion auf die Äußerungen Edtstadlers das Kanzleramt in die Pflicht genommen und erklärt: "Es ist ja nicht der Gesundheitsminister allein auf weiter Flur." Das Kanzleramt sei für die verfassungsgemäße Vorbereitung aller Rechtsakte zuständig. Dazu Funk: "Jabloner hat eine deutliche Sprache gefunden, an die Adresse des Bundeskanzlers. Dem ist nichts hinzuzufügen."

Anschober hat sich bislang nicht öffentlich geäußert zu den Versuchen, ihn zum Schuldigen werden zu lassen. Wäre es dafür nicht an der Zeit? Funk sieht es gelassen: "Ich habe den Eindruck, alle, die hinter die Kulissen blicken, sehen, was da gespielt wird." Es sei wohl in erster Linie ein Ablenkungsmanöver. "Bei einigen Ministern besteht ja die Bereitschaft, dem Kanzler ung'schaut die Mauer zu machen, das ist fast schon ein Reflex."

Gesetze mit Ablaufdatum

Ähnlich wie Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in der Debatte um die Rechtmäßigkeit der Corona-Gesetze auf die begrenzte Dauer der Regelungen verwiesen. "Alle Gesetze, die jetzt beschlossen wurden, haben ein Ablaufdatum", sagte er am Sonntag in der ORF-Pressestunde. Er hält es für ausgeschlossen, dass Krisengesetze in den Normalzustand übergeführt werden.

Wenn es die Notwendigkeit gebe, etwas an den Verordnungen zu ändern, bestehe im Parlament die Möglichkeit dazu, betonte Sobotka. "Dann hat man sich damit auseinanderzusetzen", sagte er. Die Corona-Gesetze würden jedoch alle von selbst wieder außer Kraft treten, verteidigte er die Maßnahmen der Regierung gegen aufkommende Kritik. Nach der Krise sollen alle Grundrechte wieder in vollem Umfang eingesetzt werden, versprach Sobotka. Eine Schnellprüfung des Verfassungsgerichtshofes, wie von Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff gefordert, will er nicht vorantreiben. "Der Verfassungsgericht entscheidet selbst, welche Urteile schneller gefällt werden müssen", sagte er dazu.

Eil-Gesetze gerechtfertigt

Das schnelle Durchpeitschen der Gesetzespakete, unter anderem durch das Parlament, verteidigte der NR-Präsident am Sonntag. "Wer schnell hilft, hilft doppelt", so Sobotka. Mit einem normalen Prozedere wäre man bei einer Beschlussfassung im Juni gewesen, erklärte er und lobte die enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Parlament und Bundespräsident. "Ich bin froh, dass wir auch in diesen Zeiten einen starken Parlamentarismus haben", betonte Sobotka. Stück für Stück wolle man nun wieder zu einem normalen parlamentarischen Fahrplan zurückkommen, inklusive Begutachtung von Gesetzen, erklärte er.

Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka steht zum raschen Durchpeitschen der Gesetze
Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka steht zum raschen Durchpeitschen der Gesetze © ORF

Dass die bisher aufgestellten Hilfspakete für die Wirtschaft ausreichen werden, bezweifelt Sobotka. Diese Pakete werden noch nicht "das Ende der Fahnenstange sein", meinte er am Sonntag. Trotzdem verteidigte er die Maßnahmen der Regierung und sagte: "Das Menschenleben steht immer zuerst." Wer die Kosten der Krise zahlt, ist für den Nationalratspräsidenten klar. "Für alle Kosten kommt die Gesamtheit der Steuerzahler auf", sagte er. Angesprochen auf eine mögliche Erbschafts- oder Vermögenssteuer sagte er, man werde sehen, "welche Instrumente hier herangezogen werden".

"Nicht unter den Tisch kehren"

Sollten in der Causa Tirol (Ischgl) Untersuchungsausschüsse eingebracht werden, werde er sie unterstützen, versprach Sobotka. Eine Krise sei nämlich keine Rechtfertigung dafür, dass Sachen unter den Tisch gekehrt werden.