Adelheid Popp war eine von acht Frauen, sieben Sozialdemokratinnen und eine Christlichsoziale, die am 4. März 1919 in die Nationalversammlung einzogen.
- Anna Boschek (Heimarbeiterin, Fabrikarbeiterin, Vorsitzende der sozialdemokratischen Frauen in der Gewerkschaft)
- Emmy Freundlich (Journalistin, später Direktorin im Bundesministerium für Volksernährung - damals die höchstrangige Frau im Beamtenwesen)
- Adelheid Popp (Fabriksarbeiterin, Begründerin der proletarischen Frauenbewegung, Journalistin und Herausgeberin der Arbeiterinnenzeitung)
- Gabriele Proft (Hausgehilfin und Heimarbeiterin, 1945 - 1959 stellvertretende Parteivorsitzende der SPÖ)
- Therese Schlesinger (Journalistin und Herausgeberin des Wochenblattes "Die Wählerin")
- Amalie Seidel (Dienstmädchen, Gründerin des Wiener Jugendhilfswerks)
- Maria Tusch (SP, Tabakarbeiterin aus Klagenfurt, Obfrau der Tabakarbeiterschaft)
- Hildegard Burjan (Christlichsoziale, Gründerin des Verbandes der christlichen Heimarbeiterinnen)
Vor genau 100 Jahren, am 12. November 1918, wurde mit der Ersten Republik das Frauenwahlrecht aus der Taufe gehoben. Popp war eine der ersten, und sie blieb 14 Jahre. „Vorwärts! Aufwärts!“ So endet ihr Buch aus dem Jahr 1929, „Der Weg zur Höhe“. „Die Frau geht ihren Weg immer weiter aufwärts, sie geht ihn heute Seite an Seite mit dem Manne. Mit Riesenschritten holt sie nach, was sie in vergangenen Jahrhunderten ohne ihre Schuld versäumt hat!“, schrieb Popp.
Fünf Prozent aller Abgeordneten waren im Jahr 1919 weiblich. Mit dem „Aufwärts“ sollte es länger dauern, als die Pionierinnen dachten. Erst 1986, fast sieben Jahrzehnte später, wurde die Zehn-Prozent-Marke überschritten. Heute sind es 35,5 Prozent.
Die ersten Wahlen, bei denen das neue Frauenwahlrecht zum Tragen kam, waren die Wiener Gemeinderatswahlen. Adelheid Popp, fünf ihrer sozialdemokratischen Kolleginnen und die Christlichsoziale Hildegard Burjan zogen 1918 auch in den provisorischen Wiener Gemeinderat ein. Bis auf eine kamen die ersten Frauen im Parlament alle aus Wien. Und bis heute haben es Frauen auf regionaler politischer Ebene schwer: Nur 7,7 Prozent der Bürgermeister sind im Jahr 2018 weiblich.
Frauenförderprogramme wie der Kärntner Politikerinnen-Lehrgang, Projekte des steirischen „Frauen-Calls“ oder der Lehrgang „Frauen führen und gestalten“ von Felin sollen Frauen Mut machen. „Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte“, formulierte einst SPD-Politikerin Käte Strobel.
Immerhin: In der Schweiz dauerte schon der Kampf ums Wahlrecht bis zum Jahr 1971! Die britischen Suffragetten waren die Vorreiterinnen im Kampf um die Mitbeteiligung der Frauen.
Suffrage“ ist das englische Wort für Wahlrecht. Sie waren brillante Rednerinnen. Sie warfen Steine. Sie gingen dafür ins Gefängnis.
In Österreich waren es Fabriksarbeiterinnen wie Adelheid Popp, die „Heimarbeiterinnenmutter“ Hildegard Burjan und Industriellengattin Marianne Hainisch, die für das Frauenwahlrecht kämpften. „Die Abhängigkeit der Frau war in den besitzenden Klassen immer am ausgeprägtesten“, konstatierte später Simone de Beauvoir. Wohl auch deshalb waren die bürgerlichen Frauen die ersten, die sich auch gegen die Männer richteten, um ihre Rechte durchzusetzen. Die Sozialdemokratinnen schwenkten erst um, als sie lernen mussten, dass sie im Kampf um die gemeinsame Sache die Zweiten blieben.
Für die soziale Absicherung von Hausgehilfinnen und Heimarbeiterinnen wurde in der Ersten Republik viel erreicht. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit wurde erst viel später verankert. Von echter Lohngerechtigkeit sind wir noch Lichtjahre entfernt.
Das Frauenvolksbegehren machte das auch jungen Frauen wieder bewusst. „Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht“, formulierte einst Marxistin Rosa Luxemburg.
Buchtipp:
100 Jahre Frauenwahlrecht – und? Gleichberechtigung – Realität und Perspektive. Herausgeber Waltraud Klasnic und Herwig Hösele geben Einblicke
Claudia Gigler