Ein paar Worte zur heute im Ministerrat beschlossenen Kassenreform:

1.) Grundsätzlich ist die Reduktion der Sozialversicherungsträger eine gute Sache. Die Regierung hat völlig recht, wenn sie sagt, das derzeitige System ist "kompliziert und ungerecht". Ein einheitlicher Leistungskatalog, wie ihn die neue ÖGK bringen soll, ist hoch an der Zeit.

2.) Leider hat die Regierung der Reformmut auf halbem Weg verlassen – zufällig genau dort, wo es mächtige Lobbys wie die Beamtengewerkschaft betroffen hätte. Wenn "Gerechtigkeit" ein Argument für die Reform sein soll, ist nicht einzusehen, warum für Beamte, Eisenbahner, Bauern und Selbständige weiterhin eigene Kassen aufrechterhalten werden sollen. Natürlich mit unterschiedlichen Beitrags- und Leistungsstrukturen als für alle anderen Dienstnehmer.

3.) Nicht angegriffen werden auch die 15 „Krankenfürsorgeanstalten“, in denen für bestimmte Beamte (etwa jene der Städte Wien, Graz, Villach oder die oberösterreichischen Landeslehrer, usw) besondere Leistungen zu besonderen Preisen geboten werden – mit einem gerechten System hat es nichts zu tun, solche – weit weniger Risken als der Durchschnitts-Arbeitnehmers ausgesetzten – Gruppen aus dem generellen Solidarsystem herauszuhalten. Die Regierung lässt sich hier eine Jahrhundertchance entgehen, indem sie das Reformfenster – mit den Neos wäre wohl sogar eine Verfassungsmehrheit möglich – hier verstreichen lässt.

4.) Auch die Frage, warum es weiterhin eigene Gremien in jedem Bundesland braucht, muss sich die Regierung gefallen lassen: Klar gibt es in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Herausforderungen, Stichwort  Landärzte – aber dass sich diese Herausforderungen genau mit den Ländergrenzen überschneiden sollen, ist dann doch ein eigenartiger Zufall. Ob es da nicht eher darum geht, bestehende Machtstrukturen fortzuschreiben, statt ein vernünftiges System aufzusetzen?

5.) Der PR-Spruch von der „Patientenmilliarde statt Verwaltungsmilliarde“ ist reine Chuzpe. Die Regierung hat es auf mehrfache Frage nicht geschafft, zu begründen, aus welchen Posten sich diese Milliarde zusammensetzen soll, die angeblich bis 2023 durch die Reform herauskommt. Die Koalition verweist auf mehrere Studien, die großes Einsparungspotenzial sehen – aber wenn man die Kriterien des Rechnungshofes anlegt, die er bei der Fusion der Pensionskassen 2007 aufgestellt hat, ist das zu wenig: Er wünscht sich klare, überprüfbare Einsparungsziele, bei denen ständig zu beobachtet wird, ob sie erreicht werden. Das passiert nicht: Stattdessen hat man eine Milliarde in den Raum gestellt, weil eben gut klingt.

6.) Auch das Versprechen, dass für niemanden die Leistungen durch die Reform schlechter werden, ist unsauber: Bisher hatten manche Gebietskrankenkassen bei bestimmten Krankheits- oder Vorsorgebildern für ihre Versicherten bessere Leistungen im Angebot als andere. Dass der neue einheitliche Leistungskatalog bei allen Krankheiten – und, noch so ein Verpsrechen, bei gleichbleibenden Beiträgen – immer auf das höchste Niveau angepasst wird, darf man bezweifeln: Das wird sich schon alleine kostenmäßig nicht ausgehen. Dazu kommt, dass die Regierung das an sich nicht versprechen kann: Den Leistungskatalog wird nämlich die ÖGK mit den Ärztekammern verhandeln – und zwar in Selbstverwaltung; das heißt, ob Leistungen dazukommen oder wegfallen, wird die Regierung formell nicht mitbestimmten.

7.) A propos Selbstverwaltung: Ja, dass in den ÖGK-Gremien künftig Parität zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern herrschen wird, ist ein effektiver Machtverlust für erstere. Man darf unterstellen, dass die Regierung hier interessensgeleitet die ihr nahestehendere Wirtschaftsseite pushen will.

8.) Aber: Wer jetzt Krokodilstränen um die Selbstverwaltung weint, sollte sich vor Augen führen, dass dieses sowieso weitgehend Augenauswischerei ist. Nicht nur, dass die Gremien über die Kammern beschickt werden, also nur eine maximal indirekte Vertretung der Versicherten das Sagen in den Kassen hat: Gerade einmal 46 Prozent der Versicherten sind überhaupt berechtigt, an Kammerwahlen teilzunehmen – Pensionisten und Mitversicherte haben schon jetzt nicht die Gelegenheit, an der angeblichen „Selbstverwaltung“ teilzuhaben.

9.) Ob die Reform vor dem Verfassungsgerichtshof hält, wird spannend. Die Frage, inwiefern die Politik in Strukturen der Selbstverwaltung eingreifen darf – Regierung und Opposition tauschen dahingehend seit Wochen Rechtsmeinungen aus -, ist entscheidend für die noch größere: Ist Österreich überhaupt reformierbar?