Das Land ist aus dem Lot. Vielleicht war es noch nie so aus dem Lot wie jetzt, fangen wir nach dem Krieg an zu zählen. Es zerfällt von oben nach unten und von unten nach oben, je nachdem, wie man auf das Land draufschaut. Der Kanzler und der Gesundheitsminister, zerstrittene Krisenpolitiker im ersten Lehrjahr - die mit den geweiteten Augen, wenn sie sprechen - haben gestern ihr Navigationsgerät eingestellt und sind getrennt an den Achensee gefahren, weil die Kurfürsten sie dorthin gebeten haben. Sie bitten wieder zu sich. Sie sind wieder wer, so groß kann die eigene Bedrängnis gar nicht sein.

Der Achensee ist der größte See in Tirol. Unsereins hat gar nicht gewusst, dass Tirol einen größten See hat. Er liegt nördlich von Jenbach über dem Inntal und ist ein von den Gletschern geschaffener Natursee, der nie wärmer als zwanzig Grad wird, egal wie heiß es draußen ist. Man kann ihn getrost oder ungetröstet trinken und zehn Meter tief in ihn hinunterschauen, so klar und transparent ist er. So klar der See ist, so unklar ist alles um ihn herum. Die Landeshauptleute haben dort zuerst sich empfangen und dann den herbeizitierten Kanzler und Gesundheitsminister mit ihren Orientierungshilfen.

Normalerweise spielt die Blasmusik auf, aber man hat sie dann doch zuhause gelassen. Vielleicht wird nur tonlos ein Obstler gereicht und man belässt es dabei. Vielleicht flackert im zu großen Hotel irgendein Feuer im offenen Kamin. Vielleicht hat sich dort zu später Stunde die Erschrockenheit in den steinernen Gesichtszügen gelöst, die Erschrockenheit über das eigene Versagen, eine tafelkreideweiße, wie man sie gestern beim Salzburger Wende-Landeshauptmann in seiner Lockdown-Pressekonferenz wahrnahm oder beim bürgerlichen Wende-Kollegen aus Linz, ja, dem mit dem Entwurmungspartner.

Diese blassbleiche Erschrockenheit über sich und das Dargebotene der vergangenen Tage lässt hoffen. Vielleicht ist sie ein Zeichen von Scham. Vielleicht kommt man zu sich und findet zurück in die Rolle, ins Gleichgewicht und in die Verantwortung. Vielleicht bildet man heute, wenn die Außenwelt dazu darf, einen Halbkreis und entschuldigt sich, wie es Peter Filzmaier nahegelegt hat. Vielleicht hat die Nacht am klaren, kalten Natursee eine Läuterung bewirkt, und man tut, was zu tun ist und verkündet es. Viele Optionen sind nach der verstrichenen Zeit und den Versäumnissen nicht mehr geblieben. In der Zeitung listen wir die Möglichkeiten auf und beleuchten sie. Vorne auf Seite eins steht: Das Ende der Tabus. Das Land muss noch einmal gemeinsam in Klausur gehen und aussprechen, dass das Impfen eine Pflicht ist, eine medizinische, eine solidarische und eine gesetzliche. Kein Zwang, aber eine Pflicht. Anders kommt das Land aus dem Unheil nicht mehr heraus.

Werfen Sie einen Blick auf die Gesichter um halb eins, wir übertragen sie.

Herzlich: Hubert Patterer