Worin liegt eigentlich der Wert von Kleidung, in welchem Moment kreiert man den Wert? Eine Frage, die sich die 25-jährige Tirolerin Eva Heugenhauser während ihres Master-Studiums "Fashion Design and Society" an der Parsons School of Design viele Male stellte. "In die Entwicklung und die Konzeption von Designs werden so viele Stunden Arbeit investiert, und am Ende wird der Wert gefühlt ausschließlich am Endprodukt gemessen. Doch eigentlich liegt er in allem, was davor passiert, in der Grundlage, die es braucht, um das Produkt überhaupt zu erschaffen."

Das Können und die Kunst eines Schneiders, das er sich über Jahrzehnte erarbeitete, nehmen in einem Kleidungsstück Form an - ein Prozess, der die 25-Jährige fasziniert. "Ich habe selbst bereits bei einigen Schneiderinnen und Schneidern gearbeitet und dieses Wissen, das diese Menschen haben, ist von ungreifbarem Wert." Ein Grund, warum sich Heugenhauser entschied, den Vorgang der Herstellung von Kleidung auch in ihrer Abschlussarbeit in den Fokus zu rücken.

Inspiriert durch einen Konditor

"Es hat sich falsch angefühlt, einfach Stoff einzukaufen und daraus etwas zu erschaffen, ich wollte diesen Begriff des Ungreifbaren auf abstrakte Art zeigen, etwas produzieren, das vergänglich ist", so die gebürtige Tirolerin. Einen eigenen Entstehungsprozess sollte das Material haben, eine Lebensspanne, die in Vergänglichkeit endet - eine lange Suche, die durch Zufall ein Ende fand. "Ich habe auf Youtube ein Video gefunden, in dem ein Konditor das Brautkleid einer Hochzeitsfigur für eine Torte aus Gelatine anfertigte, das hat mich eingefangen."

Die 25-Jährige verbrachte in ihrer Design-Laufbahn bereits Zeit in New York und Tokio
Die 25-Jährige verbrachte in ihrer Design-Laufbahn bereits Zeit in New York und Tokio © PABLO CHIEREGHIN

Intensive Recherche steckte die 25-Jährige in die perfekte Rezeptur, um dem ungewöhnlichen Material eine stoffähnliche Struktur zu verleihen. "Zuerst habe ich mit kleinen Stücken Gelatine in Joghurtbechern gearbeitet, die nach und nach größer wurden. Das Material veränderte sich je nach Zusammensetzung aus Wasser und Gelatine ständig und ist anfällig bei Temperaturschwankungen", erzählt Heugenhauser. Erst zu hart, dann zu weich - viele Versuche brauchte die junge Designerin, um ans Ziel zu kommen. Jede getestete, neue Rezeptur nahm mehrere Tage in Anspruch, in umkonstruierten Plexiglasplatten ließ die junge Designerin das Material trocknen.

Auf Plexiglasplatten ließ Heugenhauser das Gemisch aus Gelatine, Wasser und Glycerin trocknen
Auf Plexiglasplatten ließ Heugenhauser das Gemisch aus Gelatine, Wasser und Glycerin trocknen © Eva Heugenhauser

Ausgezeichnetes Design

Was als Projekt für eine Abschlussarbeit begann, ist nun gleichsam eine künstlerische Analogie für eine Modeindustrie, in der der Wert des Handwerks oft eine verschwindend geringe Rolle spielt. "Es ist normal geworden, dass ein neu entstandener Trend binnen weniger Stunden in Massen produziert und geliefert werden kann. Dadurch wird das Bild von Mode verzerrt." Bei einem maßgeschneiderten Produkt betrage die Wartezeit mehrere Wochen. "Und danach kann es im besten Fall über Generationen hinweg überleben", sagt Heugenhauser. Die Kreationen der Tirolerin können zudem auch als künstlerische Darstellung in Zyklen wiederkehrender Trends verstanden werden. Ihre Designs bewahrt die 25-Jährige nämlich immer noch in ihrem Zimmer auf. "Man merkt richtig, wie das Material mit den Jahreszeiten mitlebt, im Sommer ist es weicher, im Winter steifer."

Vor Kurzem wurde die Kollektion der jungen Designerin mit dem ITS (International Talent Support) Special Mention der Vogue Italia ausgezeichnet. "Das Interesse an Design und zu wissen, dass ich mit meiner Arbeit Menschen erreichen kann, bedeutet mir wirklich viel", sagt Heugenhauser und bleibt bescheiden. "Ich freue mich einfach, wenn ich meine Botschaft verbreiten kann." Auch der deutschen Vogue blieb das Talent der Tirolerin nicht verborgen. "Eine Redakteurin schrieb mich an und ich wusste erst gar nicht, wann der Artikel veröffentlicht werden würde, bis ich von Bekannten und Freunden von zu Hause Nachrichten und Fotos von dem Artikel bekam. Diese Verbindung zu daheim war etwas ganz Besonderes."