Derzeit dominiert die vorherrschende Delta-Variante des Coronavirus die Diskussionen über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. In Sozialen Medien verbreitete sich zuletzt ein Blog-Artikel, demzufolge britische Daten gezeigt hätten, dass die Delta-Variante "mindestens 10-fach weniger gefährlich" sei als frühere Varianten. Das ließe sich an der Case Fatality Rate (CFR) erkennen, die niedriger sei als jene der Alpha- und Beta-Varianten.

Die Überprüfung

Die reinen Zahlen der letzten Berichte von Public Health England zeigen, dass die Case Fatality Rate (CFR) in Großbritannien bei der Delta-Variante (B.1.617.2) niedriger ist als bei der Alpha (B.1.1.7) und der Beta-Variante (B.1.351). Während diese bei Delta im Juni 2021 bei 0,1 Prozent lag (bei einer Nachbeobachtung von 28 Tagen bei 0,3 Prozent), lag sie bei der Alpha-Variante bei 1,9 Prozent und bei Beta bei 1,4 Prozent. Im aktuellsten Bericht liegt sie bei Delta bei einer Nachbeobachtung von 28 Tagen bei 0,2 Prozent, bei Alpha und Beta blieb sie etwa gleich.

Im aktuellsten britischen Bericht wird etwa betont, dass die CFR nicht dafür geeignet ist, verschiedene Corona-Varianten miteinander zu vergleichen: "Die Fallsterblichkeit ist nicht zwischen den Varianten vergleichbar, da diese zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Pandemie ihren Höhepunkt hatten". Zudem würden die Krankenhausauslastung, die Verfügbarkeit von Impfungen und deren Raten, Fallprofile, Behandlungsmöglichkeiten sowie Effekte der Meldeverzögerung neben anderen Faktoren eine Rolle spielen.

Es braucht einen längeren Beobachtungszeitraum

In einem Bericht vom Juni steht, dass die Mortalität ein verzögerter Indikator ist. Damit ist gemeint, dass die Anzahl der Fälle, die eine Nachbeobachtungszeit von 28 Tagen abgeschlossen haben, derzeit sehr gering ist. Es sei also zu früh "um eine formale Bewertung der Sterblichkeit von Delta stratifiziert nach Alter im Vergleich zu anderen Varianten abzugeben". Darauf weist auch Eva Schernhammer, Professorin für Epidemiologie an der Medizinischen Universität Wien, gegenüber der APA hin: "Meiner Meinung nach ist das ein Schlüsselstatement (...) - nämlich, dass man noch zu wenig weiß, was alters-stratifizierte Daten betrifft."

Von Anfang an habe man gewusst, dass die Case Fatality Rate bei Covid-19 drastisch unterschiedlich sei für Ältere im Vergleich zu Jüngeren. Weil die Älteren bereits großteils geimpft worden seien, betreffe Delta derzeit vorwiegend Jüngere. Daher muss man laut Schernhammer auch schauen, ob die immer schon eher geringere CFR der Jüngeren nun durch Delta, im Vergleich zur CFR der Jungen bei der Alpha oder der Beta-Variante, ein wenig gestiegen ist. Schernhammers Eindruck sei, dass das der Fall ist - "allerdings befinden wir uns dann immer noch in einem sehr niedrigen Bereich was die Sterblichkeit betrifft", sagt die Epidemiologin.

Jung vs. alt

Dass es insgesamt über alle Altersgruppen hinweg so wirke, als sei die CFR niedriger, sei "kein Wunder", wenn man das Alter nicht in Betracht ziehe. "Damals (Anm. als Alpha oder Beta dominant waren) haben die noch mehrfach älteren Erkrankten die CFR insgesamt höher erscheinen lassen als derzeit, wo es sich um hauptsächlich Jüngere handelt. Man müsste das aber eben differenzierter - nämlich alters-stratifiziert - anschauen", resümiert Schernhammer.

Auch der deutsche Virologe Christian Drosten sieht den Grund in der niedrigeren CFR "ganz klar" darin, dass inzwischen mehr Leute geimpft sind, sagte er Ende Juni im NDR-Podcast. Man könne aber davon ausgehen, dass die CFR noch steige. Damit spricht er ebenfalls auf die Mortalität als verzögerten Indikator an.

Die jetzige CFR bei Delta schließt also nicht mehr die gesamte Bevölkerung mit ein, sondern hauptsächlich jenen Teil, der noch nicht geimpft wurde. Da das vorrangig jüngere Menschen sind, die nicht so gefährdet sind, schwer an Covid-19 zu erkranken, ist die CFR auch niedriger. Der Wert kann also nicht die "Gefährlichkeit" der Variante für die gesamte Gesellschaft abbilden.

Zu einem späteren Zeitpunkt - wenn die Datenlage besser ist - könnte man dann die Delta-CFR der Jüngeren mit der CFR der Jüngeren während einer der früheren Varianten vergleichen und so Erkenntnisse zur Sterblichkeit gewinnen. Ein Vergleich wie er im Blog-Artikel angestellt wurde, ist aber derzeit unzulässig. Zudem ist es unzulässig, die Delta-CFR mit jener der Grippe zu vergleichen.

Auch andere Faktoren spielen eine Rolle

Die "Gefährlichkeit" einer Variante bemisst sich nicht nur an der Sterblichkeit, sondern etwa auch an der Rate der Hospitalisierungen oder der Ansteckungen. In Bezug auf Hospitalisierungen wird häufig auf eine Studie in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift "The Lancet" von Juni 2021 verwiesen. Die Studie kam zu dem Schluss, dass das Risiko mit einer Infektion mit der Delta-Variante ins Krankenhaus eingewiesen zu werden in Schottland im Vergleich zur Alpha-Variante etwa doppelt so hoch gewesen sei. Besonders sei das Risiko bei Personen mit mehreren Vorerkrankungen erhöht gewesen.

Fazit: Was bedeutet das nun?

Die Case Fatality Rate (CFR) gibt an, wie viele der Corona-Infizierten sterben. Die Rate ist tatsächlich bei der Delta-Variante in Großbritannien derzeit niedriger als jene von Alpha oder Beta. Nur auf Basis dessen lässt sich aber nicht sagen, dass die Delta-Variante weniger gefährlich ist. In Bezug auf die CFR müssen mehrere Faktoren wie etwa der Impffortschritt miteinbezogen werden. Es ist derzeit nicht eindeutig, ob die Variante zu mehr Hospitalisierungen führt oder eine höhere Sterblichkeit hat. Studien zufolge ist sie aber ansteckender.