Warum bringt uns die Zeitumstellung so aus dem Takt?
Stefan Seidel: Wir haben einen äußeren Tag-Nacht-Rhythmus, der durch die Erdrotation vorgegeben ist. Wir leben in einem Wechsel zwischen heller und dunkler Umgebung. Diesen nehmen wir über die Augen und einem Eiweißstoff in der Netzhaut wahr, dem Melanopsin. Damit wird unsere innere Uhr getaktet. Wir sind mit der Umwelt synchron. Wenn wir die Zeiten aber künstlich auf der Uhr umstellen, dann verschieben sich die Tageszeiten, an denen es hell und dunkel ist. Wir erleben einen kleinen Jetlag. Es braucht dann eine Zeit, bis Innen und Außen wieder synchron laufen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass man eigentlich von inneren Uhren sprechen müsste. Warum?
Wir haben die Hauptuhr im Hirn. Diese steht aber in Rückkopplung mit anderen Organen wie Herz, Lunge, Leber, Nieren, die auch in den Zellen kleine Uhren haben. Auch deren Tätigkeit hängt davon ab, ob es Tag oder Nacht ist. Die Cortisonproduktion aus der Nebennierenrinde etwa ist morgens stark und nimmt über den Tag ab.
Lerche oder Eule: Was ist dran an Chronotypen?
Die meisten Menschen sind mittlere Typen. Es dauert aber eine Zeit, bis unser Chronotyp stabil ist. In der Kindheit und Adoleszenz darf man noch keine Bewertung abgeben. Kinder stehen tendenziell früher auf und Jugendliche gehen eher später schlafen. Erst um das 20./25. Lebensjahr wird der Chronotyp stabil. Im höheren Alter verlagern sich viele wieder nach vor – besser bekannt als senile Bettflucht.
Viele plagen derzeit Schlafprobleme. Ab wann spricht man von einer Schlafstörung?
Eine gesundheitlich relevante Schlafstörung liegt vor, wenn man tagsüber beeinträchtigt ist, und das über einen längeren Zeitraum hinweg – drei Monate und aufwärts. Tagesbeeinträchtigung heißt, dass man anhaltend in seinem Funktionsniveau beeinträchtigt ist. Man kann sich nicht konzentrieren, ist gereizt und macht mehr Fehler als sonst. Wenn man nur ab und zu nicht gut einschlafen oder durchschlafen kann, liegt nicht zwingend eine Schlafstörung vor.
Was hilft bei Schlafproblemen?
Ein wesentlicher Punkt bei der Insomnie, also bei Ein- und Durchschlafproblemen, ist, dass oftmals dysfunktionale Gedanken zum Schlaf bestehen. Wenn man sich beispielsweise denkt: Ich habe eine Schlafstörung, weil ich nicht jeden Tag acht Stunden schlafe und nicht jeden Tag durchschlafe. Das sind Gedanken, die nicht unbedingt zutreffen. Vor allem sind sie nicht hilfreich, weil sie stressen. Es ist in der kognitiven Verhaltenstherapie der Insomnie ganz wichtig, diese Dinge aufzubrechen.
Wie kann man nun wieder einschlafen, anstatt ins triste Gedankenkarussell zu steigen?
Man kann sich also bewusst machen, dass es für unser Gehirn normal ist, im Dunkeln vor manchen Dingen des Lebens mehr Angst zu haben. Wenn man 15 Minuten wach liegt und merkt, dass man nicht mehr einschlafen kann, kann man aufstehen und ein Buch lesen und warten, bis die Müdigkeit wieder zunimmt. Damit vermeidet man das Problemewälzen. Man kann aber auch paradox intervenieren und versuchen, auf gar keinen Fall einzuschlafen. Das ist ein psychologischer Trick für Schlafgestörte. Sie sehen, ich spreche hier nicht über Schlafmittel, weil bei den meisten Schlafproblemen die Verhaltenstherapie die nachhaltigere Therapie ist.
Ist der Schlaf vor Mitternacht wirklich der gesündeste?
Jein, das hängt stark vom Chronotyp ab. Wenn jemand von Natur aus um 22 Uhr müde ist und schlafen geht, dann wird in diesen beiden Stunden vor Mitternacht schon einiges an Tiefschlaf konsumiert. Und der Tiefschlaf ist für viele Dinge wichtig. Aber wenn jemand ein später Chronotyp ist, dann wird sich da vor Mitternacht wenig ausgehen. Diese Menschen haben aber keinen Nachteil, denn es wird, wann auch immer der Schlafbeginn ist, zu Beginn auf Tiefschlafphase geschaltet.