Ketamin wird seit den 1970er-Jahren in der Notfallmedizin und Anästhesie eingesetzt - es hat allerdings auch einen Ruf als Partydroge, da es psychotrop wirkt. Nun zeigen sich neue Einsatzmöglichkeiten für den Wirkstoff: Nicht nur wird seine Wirkung gegen Depressionen intensiv beforscht, auch als Schmerzmittel hat es Einsatzpotenzial, wie eine aktuelle Untersuchung belegt.

„Die weitere Erforschung von Ketamin ist durchaus lohnend. Es unterscheidet sich in seiner Wirkweise deutlich von anderen Schmerzmitteln“, erklärt Wolfgang Jaksch, Vorstandssekretär der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG).

Das Medikament zeige eine Reihe von Effekten, die zum Beispiel lokal-anästhetisch wirken, aber auch die Wirkung von Opiaten verstärken. Weiters steigert Ketamin die Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin. Zu diesen Sofortwirkungen kommen verzögerte Effekte - diese komplexen Mechanismen machen Ketamin für verschiedene Einsatzgebiete interessant, auch für die Vorbeugung chronischer Schmerzen.

Gegen Schmerzen nach Operationen und bei Krebs

Ketamin könnte bei bestimmten Patientengruppen das Risiko der Schmerz-Chronifizierung nach Operationen senken. Studien zeigten, dass niedrig dosiertes Ketamin vor, während und nach Operationen den Opioidbedarf um 40 Prozent reduziert, und das ohne schwere Nebenwirkungen. Ketamin erwies sich auch als hilfreich bei der Behandlung opioid-resistenter akuter Schmerzen nach Operationen. Jaksch: „Es gibt daher die Empfehlung, Ketamin bei großen Eingriffen als Teil eines multimodalen Schmerzmanagements einzusetzen.“

Eine Vielzahl von Studien zeigt außerdem, dass Ketamin chronische neuropathische Schmerzen ("Nervenschmerzen") wirksam lindert. „Allerdings wurden in den meisten Studien Ketamin-Infusionen untersucht, mit der oft nur eine auf wenige Stunden begrenzte Wirkung erreicht wurde. Die Datenlage zur Behandlungsdauer und der eingesetzten Dosierung ist sehr uneinheitlich. Zum Einsatz von Ketamin bei chronischem Schmerz haben wir leider noch keine Langzeitdaten“, sagt Jaksch. Andere Verabreichungsformen (oral, transmukosal, Pflaster) sind in Entwicklung.

Die Leitlinien der European Society for Medical Oncology (ESMO) empfehlen den Einsatz von Ketamin zur palliativen Behandlung von Krebspatienten mit neuropathischen Schmerzen und bei komplexen neuropathischen und vaskulären Schmerzsyndromen, bei denen Opioide ihre Wirkung verloren haben.

Missbrauch und Nebenwirkungen

Hinsichtlich der Nebenwirkungen ist vor allem die psychotrope Wirkung von Ketamin bei langfristiger Einnahme problematisch. Ketamin kann deutliche Psychose-ähnliche Effekte und kognitive Beeinträchtigungen hervorrufen. Da seit den 1970er Jahren Ketamin als „Partydroge“ missbraucht wird, gibt es aus den Beobachtungen dieses „Freizeitgebrauches“ mehr Daten zu langfristigen Nebenwirkungen als aus den spärlichen klinischen Studien mit kurzen Beobachtungszeiten.

„Im Zusammenhang mit häufigem Ketamin-Konsum junger Menschen wird zwar eine Vielzahl von psychiatrischen und neurologischen Komplikationen beschrieben, Todesfälle durch Überdosierung sind allerdings selten und stehen zumeist in Zusammenhang mit der gleichzeitigen Einnahme anderer psychoaktiver oder sedierender Substanzen wie zum Beispiel Alkohol“, sagt Jaksch. „Ob im medizinischen Einsatz die psychotropen Nebenwirkungen von Ketamin beherrschbar sind und ob sich das Missbrauchspotenzial gering halten lässt, müssen weitere Studien zeigen.“

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