Haben Kinder psychisch kranker Eltern besondere Bedürfnisse?

Katharina Purtscher-Penz: Das hängt vom Alter des Kindes ab. Kleinkinder müssen weiterhin verlässlich betreut und versorgt werden. Schulkinder natürlich auch – sie brauchen aber zusätzlich dem Alter entsprechende Informationen. Das heißt: Man muss ihnen erklären, dass es nicht nur körperliche, sonder auch seelische Schmerzen gibt. In erster Linie müssen Kinder begreifen, dass es Situationen gibt, in denen der jeweilige Elternteil erschöpft und verzweifelt ist. Aber das muss nicht zwangsweise die nächsten fünf Jahre so bleiben.

Sozusagen eine Momentaufnahme, die auch wieder besser werden kann.

Ja. Schwieriger ist es, wenn Erkrankungen ein schwerwiegendes Ausmaß annehmen, wie es etwa bei einer Psychose der Fall ist. Dabei kann es zu bizarren Handlungen kommen. Für Kinder sind solche Vorfälle in der Regel nicht greifbar, im schlimmsten Fall ängstigen sie sich. Umso wichtiger ist es, aktiv solche Dinge nachvollziehbar zu machen. Auch um zu verhindern, dass Kinder den Grund für die psychische Belastung des Elternteiles bei sich selbst suchen. Was ganz wichtig ist: Das Wohl des Kindes hängt auch von der Mithilfe des sozialen Netzwerkes ab. Sprich: Familie, Freunde, Kindergarten oder Schule.

Laufen Kinder Gefahr, zu früh in die Erwachsenenrolle gedrängt zu werden?

Das kann passieren. Einige Kinder denken, von ihnen werde jetzt besondere Stärke verlangt und es sei ihre Pflicht, die Eltern zu unterstützen. Sie versuchen, besonders brav zu sein, übernehmen Funktionen im Haushalt oder kümmern sich um die jüngeren Geschwister. Manche bringen der depressiven Mutter das Essen ans Bett, weil sie gerade nicht aufstehen kann. Oder dem Vater wird das Bier aus dem Kühlschrank geholt, weil er ohne Alkohol schnell aggressiv wird. In der Schule geben sich die betroffenen Kinder extra viel Mühe, damit der kranke Elternteil nicht noch einen zusätzlichen Grund zur Sorge hat. Jüngere Kinder können ihre Not noch gar nicht in Worte fassen. Sie verweigern stattdessen zum Beispiel den Schulbesuch. Dahinter steckt nicht selten die Angst, den erkrankten Elternteil alleine zu lassen.

Inwiefern können psychische Erkrankungen einen Einfluss auf das spätere Leben haben?

Die Frage der Vererbbarkeit stellt sich durchaus. Einige Kinder wollen wissen, ob sie später die gleiche Erkrankung wie ihre Eltern bekommen. Keine Krankheit ist 1:1 vererbbar. Aber eine familiäre Vorbelastung gepaart mit einem schwierigen Lebensabschnitt kann dazu führen. Was ganz wesentlich ist: Vorsorglich lässt sich hier schon sehr viel ausrichten, zum Beispiel indem man über den richtigen Umgang mit Stress spricht. Auch die richtige Dosis an Ruhe und Entspannung kann ein Thema sein. Anderen Kindern hilft es wiederum, sich einem Gruppensport anzuschließen, der mit sozialer Vernetzung einhergeht.

Sprechen wir zu wenig über psychische Krankheiten?

Ja. Erkrankungen dieser Art dürfen nicht nur als medizinisches Problem verstanden werden. Wir müssen Menschen befähigen, innerhalb der Familie über Belastungen sprechen zu lernen – auch ohne Therapeut. Das geht nur, indem wir versuchen, Scham und Sprachlosigkeit aufzuheben. Es gehört viel mehr aufgeklärt. Ich finde, das muss schon in den Schulen anfangen. Der Umgang mit psychischen Krankheiten gehört genauso auf den Lehrplan wie die Masern.