Es ist ein uralter Stehsatz, der vielen Eltern im Kopf herumspukt. Er lautet: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Im momentanen Optimierungszeitalter schürt er die Grundangst, diese eine besondere Fähigkeit des eigenen Kindes so lange brach liegen zu lassen, bis sie verkümmert.

Und die Beispiele fürs Gegenteil sind zahlreich. Österreichs Tennisass Dominic Thiembegleitete schon als Baby seine Eltern - sie waren als Tennislehrer tätig - auf den Platz. Mit vier griff er schließlich selbst zum Schläger. Alma Deutscher, musikalisches Ausnahmetalent aus England, klimperte schon mit zwei Jahren am Klavier herum - und schrieb mit sechs ihre erste Oper. Ähnlich schnell kam Parade-Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart einst in die Gänge: Klavier spielen ab drei Jahren, komponieren ab fünf.

Talente-Zeitfenster

Talente-Zeitfenster, also Phasen, in denen das Erlernen bestimmter Fähigkeiten besonders leichtfällt, die gibt es. Das heißt aber nicht, dass danach nichts mehr möglich ist. Martin Textor, deutscher Autor und Pädagoge, hält beispielsweise zum Sprachenlernen fest: „Die sensible Phase für den Spracherwerb dauert bis zum 6. oder 7. Lebensjahr. Die Synapsen für die Fähigkeit, alle Laute dieser Welt korrekt nachzusprechen, werden danach wieder eliminiert. Deshalb kann ab dem Schulalter eine neue Sprache nicht mehr perfekt erlernt werden.“ Doch werde diese Phase oft überbetont, denn: „Auch als Erwachsener kann man noch Sprachen erlernen, wenn auch mit einem Akzent.“

Auch Entwicklungspsychologin Sabina Pauenbestätigt gewisse Talente-Zeitfenster bis zum Schulalter. Doch bei kindlichen Ausnahmetalenten stimme darüber hinaus fast immer auch das soziale Setting: „Oft beschäftigen sich auch die Eltern intensiv mit dem Thema, Musik oder Sport etwa. Das Kind wächst automatisch hinein. Das ist ein organisches Umfeld, in dem Sondertalente heranwachsen können.“ Ihr Credo: „Neigungen entdecken, dazu Angebote machen: Ja! Optimieren? Nein!“ Auch die anregende Wirkung von kreativen Pausen sollte nicht unterschätzt werden. Oder wie Hirnforscher Gerald Hüther nicht müde wird zu betonen: „Für die Entwicklung des Gehirns ist Langeweile wesentlich besser als gut gemeinte Frühförderung.“