Sie sind Ärztin auf dem Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie und haben ein Buch über Dating geschrieben. Wie passt das zusammen?
NASANIN KAMANI: Als Frau Anfang 30 war ich da auch im Dating-Dschungel unterwegs. Ich kenne sowohl das digitale als auch das klassische Dating. Und da ich als Ärztin und Therapeutin arbeite, bin ich natürlich sehr analytisch veranlagt und versuche auch vieles einzuordnen und zu benennen. Denn ich finde, dass das Benennen hilft, Dinge zu verstehen und auch eine gewisse Kontrolle über bestimmte Verhaltensweisen zu erlangen. Und all das ließ sich gut zu einem Buch kombinieren.

Glauben Sie, dass beim Dating heutzutage andere Herausforderungen warten als etwa vor 20 Jahren?
Ich denke, das passende Gegenüber zu finden, war schon immer eine Herausforderung. Was vielleicht anders ist: Das digitale Dating bringt einige Kommunikationstrends mit sich, die gängig sind, wie etwa Warmhaltetechniken, die durch Social Media noch verstärkt werden. Man folgt sich auf diesen Plattformen, beobachtet und reagiert, aber trifft sich dennoch nicht. Da kommt es vor, dass etwas monatelang im Schneckentempo vor sich hin plätschert. Es gibt nicht mehr nur: Man trifft sich weiter oder eben nicht. Dazwischen sind viele Grauzonen.

Gibt es Möglichkeiten, sein Gegenüber zu durchschauen? Wie findet man heraus, was der andere möchte?
Oft heißt es, man soll einfach nachfragen. Das finde ich persönlich manchmal schwierig. Wenn mich jemand fragt: „Was suchst du eigentlich?“, lautet die ehrliche Antwort: „Ich weiß es nicht.“ Denn selbst, wenn man grundsätzlich weiß, was man möchte, weiß man oft anfangs nicht, was man mit genau dieser Person möchte. Was man machen kann, ist, auf den Subtext zu achten: Wie schreibt derjenige? Fühle ich mich dabei wohl? Kommt es schon früh zu einer körperlichen Ebene, zum Beispiel, indem jemanden figurbetonte Fotos einfordert? Ich würde solche Signale auf jeden Fall ernst nehmen.

Worauf ist bei Dates noch zu achten?
Auf Anzeichen, wie: Der andere meldet sich zuverlässig zurück, der andere geht nach körperlicher Intimität nicht auf Abstand. Solche Signale zeigen, dass es jemand ernster meinen könnte. Sowohl Frauen als auch Männer, die sich nicht sicher sind, neigen dazu, nach Nähe und Intimität bewusst eine Art Distanz einzuleiten. Sie verlassen zum Beispiel schnell die Situation, sie rufen jemanden an, sie beenden das Treffen oder sie melden sich dann zwei Tage nicht mehr.

Und was sind eindeutige Warnsignale? Wann sollte man das Ganze schnell beenden?
Wenn es zu Machtspielchen kommt, oder man vom anderen abgewertet und/oder angelogen wird.

Was sollte man selbst auf keinen Fall tun?
Ich finde es fies, wenn man im Rahmen von Liebeskummer oder eigener dringlicher Bedürftigkeit jemanden als Lückenbüßer benutzt. Vor allem dann, wenn man merkt, dass das Gegenüber eindeutig Potenzial hat, sich zu verlieben oder das schon geschehen ist.

Abschließend: Gibt es eine persönliche Datingerfahrung, die Sie nie vergessen werden?
Das wäre wohl dieser emotionale Phantomschmerz – ein Schmerz, der eine Beziehung betrauert, die es nie gegeben hat. Man trauert nach dem Dating-Ende um das Potenzial oder dieses „Was wäre, wenn ...?“. Das ist intensiv, weil etwas Schönes, das sich nur angedeutet hat, dann doch so nachhallen kann. Manchmal verletzt das mehr als eine reale Trennung von jemandem, dem man schon nichts mehr zu sagen hatte.