Seit Wochen wachsen die Proteste gegen das drohende Ende der "Wiener Zeitung". Eine E-Mail ihres Geschäftsführers steigert nun noch die Empörung. Er rechnet mit dem Papiertod. Die Redaktion ist verstört. Der Eigentümer beruhigt. Bis Ende 2022 werde sich nichts ändern. Ein Sturm im Wasserglas?

Das wäre es, wenn der Eigentümer nicht die Republik Österreich wäre. Sie finanziert mit ihrem Amtsblatt eine Redaktion, die eine gute Zeitung macht, von der viele wissen, die aber nur wenige kennen. Für das Hören-Sagen sorgen die Erlagscheine für Pflichtinserate an Unternehmen. Diese Einnahmequelle versiegt. Was Türkis-Blau angekündigt hat, wurde von Türkis-Grün wiederholt. Doch ohne diese sieben Millionen Euro (laut neuen Angaben) kann die "Wiener Zeitung" als solche kaum überleben. Der Protest hielt sich beim Start beider Koalitionen dennoch in Grenzen. Immerhin sucht die Regierung ein "neues Geschäftsmodell mit dem Ziel des Erhalts der Marke."

Im Wert der Marke könnte die Lösung des Problems liegen. 1703 gegründet, ist sie die älteste noch erscheinende Tageszeitung (seit 1813) der Welt. Wie es sonst um sie steht, wirkt wie ein Staatsgeheimnis. Sie verweigert sich seit Jahrzehnten Auflagenkontrolle und Media-Analyse. 1999 erzielte sie mit 16.000 Exemplaren 59.000 Leser. "Presse" und "Standard" haben heute zumindest je fünfmal so viel. Gegen beide und auch die ebenfalls bundesweit positionierten "Salzburger Nachrichten" ist die "Wiener Zeitung" chancenlos. Der Markt gibt das nicht her. Sogar Deutschland ernährt mit "Süddeutscher", "FAZ", "Welt" und "taz" bloß vier Blätter dieser Art.

Österreichs Tagespresse besteht aus nur 14 Titeln. In Schweden sind es 130, in der Schweiz 90. Jeder weitere Verlust an journalistischer Informationsvielfalt verringert die Demokratiequalität. Also pumpt der Staat eine Milliarde in Medien. Offen oder verdeckt. Inklusive Rundfunkgebühr und öffentlichen Inseraten. Doch ein Großteil landet im Boulevard – bei "Krone", "Heute", "oe24/Österreich". Daneben leisten sich die Parteien neue digitale PR-Plattformen – von FPÖ TV über "Kontrast" (SPÖ) bis "Zur Sache" (ÖVP). Am Geld sollte die "Wiener Zeitung" kaum scheitern. Sondern am Willen?

Die plötzliche Solidarität ist zum Gutteil Heuchlerei. Ein Gros der Empörten hat nie ein Abo bezahlt. Diese Unaufrichtigkeit wird noch übertroffen von Sonntagsreden der Medienpolitik. Die dahinter stehenden Parteien haben kein Interesse an einem kritischen journalistischen Gegenüber. Weder genügend Publikum noch ausreichend Politik wollen sich die "Wiener Zeitung" leisten.