Herr Dag, Sie drehen mit Darstellern wie Murathan Muslu und Julia Koschitz eine Dramaserie, die auf den Motiven von Reinhard Hallers Bestseller „Die Macht der Kränkung“ beruht. Wo fängt Ihrer Meinung nach eine Kränkung an, …
Umut Dag: … und wo hört sie auf? Da gibt es nur eine emotionale Antwort darauf. Ich bin kein Wissenschaftler, habe das nicht systemisch analysiert und ich glaube, das ist individuell höchst verschieden. Es gibt sicher Menschen, bei denen Kränkung schon bei einem missverstandenen Blick anfängt. Andere Menschen sind nicht einmal gekränkt, wenn man sie ungerechtfertigt anschreit. Das ist eine ganz individuelle Frage und kommt darauf an, wie man als Mensch gebaut ist: Wie man tickt, wie man erzogen wurde, was man als Packerl mit sich selbst herumträgt. All das in Kombination ist höchst komplex.

Zeigt sich diese unterschiedliche mentale Ausstattung auch in den Figuren von „Die Macht der Kränkung“?
Dag: Alle Figuren gehen durch ein Wechselbad der Gefühle. Die Stimmung ist sehr emotional aufgeladen und geht ganz klar in eine Richtung, in der alle Schauspieler emotional herausgefordert werden. Und dieses Leid wird von Minute zu Minute mehr, weil auch die Kränkung wächst. Die Prämisse ist einfach: Wie viel Kränkung erträgt ein Mensch, wann erträgt er sie nicht mehr und begeht eine Tat, die außerhalb des Nachvollziehbaren, außerhalb der Norm steht?

Die sechs 45-minütigen Folgen konzentrieren sich auf Figuren in einem Shopping-Center, die durch Kränkungen in die Enge getrieben werden. Und am Ende steht ein Amoklauf?
Dag: Man weiß, dass es eine Bluttat geben wird, aber nicht, wer sie begangen hat – und das soll bis zum Schluss so bleiben. Aber es handelt sich nicht um einen Krimi, die Bluttat ist nur die äußere Klammer für den Fokus auf die Geschichten, die Dramen, die Kränkungen der Protagonisten.

Die Dramaserie bezieht sich auf ein erfolgreiches Sachbuch von Reinhard Haller. Wie viel werden Leser des Buches in der Fernsehproduktion wiederfinden?
Dag: Das Thema findet sich wieder, aber unsere Geschichten sind fiktional. Im besten Fall erkennt man die Absicht und die Erklärung von Herrn Haller in neuen Charakteren wieder.

Wie war es, einen Stoff zu einem Amoklauf zu drehen, während Wien durch einen Anschlag erschüttert wurde?
Dag: Surreal. Wir hatten an dem Tag gedreht, und am nächsten Morgen kamen alle mit einem sehr mulmigen Gefühl ans Set. Auch wenn man den ganzen religiös-fundamentalistischen Background dieser Tat ausklammert: Am Ende des Tages ist das ein Mensch, der psychisch in einem Ausnahmezustand war oder sich dahin entwickelt hat durch seine Radikalisierung. Genau diese Art von Ausnahmezustand, allerdings ohne die ideologischen Komponenten, wird bei uns thematisiert. Klar gibt es den Unterschied, dass dies eine geplante Tat war, während es sich bei uns um eine Tat aus dem Affekt handelt. Aber schlussendlich mussten Menschen ihr Leben lassen. Danach wieder arbeiten zu gehen, war nicht einfach.

Ist der Schauplatz der Handlung konkret verortet?
Dag: Nein, wir erzählen eine anonyme mittelgroße deutschsprachige Stadt. Gedreht wurde in Linz und in Wien.