Kafkaesk ist eine inflationäre Bezeichnung. Auf den Film von Wunderkind Ari Aster trifft sie auf schmerzvollste Weise zu. "Beau is Afraid" hat eine Titelfigur, die Kafkas geplagten Protagonisten um nichts nachsteht. Beau Wassermann wird von Aster in eine Serie von Albträumen geschickt, die umso erschreckender sind, je luzider sie sich präsentieren. Im ersten Drittel des dreistündigen Films stolpert die Titelfigur schon in der eigenen Wohnung von einer Katastrophe in die nächste. Draußen vor der Tür wartet reinste Anarchie. Eigentlich will Beau ja nur seine Mutter Mona besuchen. Mit dem Urschmerz der Trennung durch die Geburt beginnt der Film auch. Doch die Reise zum Ursprung seiner psychischen Probleme bringt immer neue Hindernisse für den Unglückspilz. "Joker"-Darsteller Joaquin Phoenix trägt den Leinwand-Trip. Wie Odysseus treibt sein beeindruckend bemitleidenswerter Beau auf dem Meer seiner eigenen Ängste und landet immer wieder auf verwunschenen Inseln. Eine Wandertheatertruppe zeigt ihm in einer animierten Märchensequenz seinen Lebensweg, oder wie dieser hätte sein können. Dabei beweist der Film Schmäh.
Nach seinem gefeierten, verstörend-sonnigen Skandinavien-Albtraum "Midsommar" verlässt Ari Aster die Pfade des Horror-Genrekinos. "Beau is Afraid" ist stellenweise ein absurder Psychothriller, dann wieder eine surreale Groteske mit ordentlich schwarzem Humor. Die Gefahr kommt diesmal von innen. Die Stärke des Films ist es, uns im Kopf von Beau zu halten – wider besseres Wissen, dass wir einer Imagination folgen. Wo sich die Geister zu "Beau is Afraid" scheiden, ist das Ausmaß dieser filmischen Obsession. Wie Darren Aronofsky in "Mother!" setzt auch Ari Aster seiner Verrücktheit keine Grenzen. Zu sehr ist stellenweise der Wunsch spürbar, ein Opus Magnum zu schaffen, das alles übertrifft. Zu viel Genie und zu wenig Macht den Produzenten, die das Wunderkind und sein Werk in produktive Bahnen lenken. Wie kürzlich in Damien Chazelles ebenfalls dreistündigem Nostalgie-Ausflug "Babylon" ist die Überwältigung dabei zwar nicht Selbstzweck, am Ende aber doch mehr Methode als nur Resultat.
Ari Aster steckt mit seinem jüngsten Werk bis zum Hals in einer alles andere als kathartischen Freud'schen Familienanalyse. Ein wenig mehr von der Klarheit und Kürze einer Kafka-Geschichte hätte dem Film dabei nicht geschadet. Franz ist bekanntlich gern ins Kino gegangen. Ob er wohl an "Beau is Afraid" seine Freude gehabt hätte?
Bewertung: ****