Im Jänner beim Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet, hätte Ihr neuer Film „Ein bisschen bleiben wir noch“ bereits im April ins Kino kommen soll. Nun ist es so weit. Was bedeutet das für Sie?
ARASH T. RIAHI: Ich hoffe, dass er sein Publikum findet. Es ist ein sehr positiver, lebensbejahender Film, ein Familienfilm, der mit Leichtigkeit ein schwieriges Problem anspricht. Ich denke, wir müssen diesem Virus auch Paroli bieten und dürfen uns nicht unterkriegen lassen. Je mehr wir uns und das kulturelle Leben zurückziehen, desto schlimmer ist es für alle. Auch wenn der Saal bei der Premiere nur halb voll war, kann man das auch positiv sehen und sagen: Der Saal war nicht halb leer.


Der Film erzählt von zwei Kindern und ihrer psychisch labilen Mutter aus Tschetschenien, denen die Abschiebung droht. Der Film basiert auf Monika Helfers Roman „Oskar und Lilli“. Wie haben Sie sich diesem genähert?
Das ist ein großartiger Roman. Ich habe mir gedacht, ich würde ihn gerne umschreiben und politisch machen. Monika Helfer hat dem zugestimmt. Das war die Zeit, als Arigona Zogaj mit ihrer Familie in den Medien war. Auch ihre Mutter war psychisch labil und hat Suizid-Versuche unternommen. Ich dachte mir, dass sich mit dem Herzstück darin alle identifizieren können: Kinder, die voneinander oder von Mutter oder Vater getrennt werden. Diese Sehnsucht, wieder zusammen zu sein, eine Familie zu haben, das kennen viele Menschen.


Sie sind als Kind selbst mit Ihrer Familie aus dem Iran nach Wien geflohen. Wie viel von Ihnen steckt in Oskar?
Es hat lange gedauert, bis ich mich von dieser Vorlage, die ich so schätze, emanzipiert habe und meine eigenen Erinnerungen in den Oskar hineinsteckte. Er hat dieses absolut Positive und versucht mit dieser Eigenschaft, die Umgebung zu verändern. Das mache ich immer noch. Es gibt zwei Arten, wie man sich Respekt verschaffen kann. In Diktaturen verschaffen sich die Machthaber Respekt durch Aggression, Angst und Brutalität. In Demokratien verschaffen sich die Politiker im besten Fall durch Hoffnung, Menschlichkeit und Veränderungen Anerkennung. Leider bedienen sich hierzulande sowohl populistische als auch machthabende Parteien immer mehr dieser Angstmethoden.


Sie fahren gut damit.
Ich glaube, dass sie gut damit fahren, weil die große schweigende Masse glaubt, dass sie nichts machen kann oder die Probleme zu komplex sind. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen nicht oder ungültig wählen. Es gibt viele, die sich nicht beteiligen, die Augen und Ohren zumachen. Die denken, das gehe sie nichts an. Aber: Wir können uns dem nicht entziehen. Alles ist politisch. Auch vermeintlich nicht politisch zu sein, ist politisch.


Es ist ein berührender Kniff, diese Fluchtgeschichte in Ihrem Film aus der Sicht der Kinder zu erzählen. Stand das von Anfang an für Sie fest?
Beim zweiten Teil meiner Trilogie nach „Ein Augenblick Freiheit“ wollte ich das Gefühl vermitteln, das man hat, wenn man als Kind hierherkommt. Mit zwölf Jahren interessiert dich Politik nicht. Du willst spielen, geliebt werden, dich geschützt fühlen. Genau das haben diese Kinder aber nicht.


Was ergab Ihre Recherche dazu?
Es gibt die Unicef-Studie „Stilles Leid“ zur psychischen Gesundheit abgeschobener und rückgeführter Kinder. Die besagt, dass 70 Prozent der Kinder, die abgeschoben werden, keine Schulbildung mehr haben und viele auf der Straße landen. Da fragt man sich: Warum ist man bereit, Millionen in irgendwelche Zelte und Zäune zu investieren oder Frontex-Organisationen zu unterstützen, anstatt Kinder anzunehmen, die später ein beitragender Teil der Gesellschaft werden können?


Aufgrund der aktuellen Situation in Moria wirkt der Film sehr aktuell.
Ich bin nicht der, der vorausgesehen hat, was sein wird. Es ist die traurige Wahrheit, dass das periodisch vorkommt. Ich wollte kein „Betroffenheit-Genom“ bedienen und ein Sozialdrama machen, das sich nur auf das Schlechte konzentriert. Denn das Leben ist positiv und negativ, bedeutet weinen und lachen.


Wie wichtig ist es, dass das Kino gesellschaftspolitische Themen der Gegenwart verhandelt?
Ich glaube, dass die Menschen Geschichten brauchen, um ihrer Fantasie Raum zu geben. Wir brauchen exemplarische Geschichten, um daraus etwas zu lernen. Wir brauchen die Kunst nicht, um zu überleben, aber eine Gesellschaft ohne Kunst und Poesie ist eine traurige Gesellschaft. Und nach dem Ibiza-Video oder der #BlackLivesMatter-Bewegung ist klar, was Filme und wir mit unserem Smartphone bewirken können. Wir können Menschenrechtsverletzungen und Korruption aufzeigen. Die Welt ist statistisch gesehen nicht schlechter geworden, als sie vor 50, 100 Jahren war. Die Welt ist viel besser geworden.

Sind wir unzufriedener geworden?
Ich glaube, wir sind verwöhnter geworden.

Nach „Ein Augenblick Freiheit“ ist „Ein bisschen bleiben wir noch“ der zweite Teil einer Trilogie. Arbeiten Sie schon am finalen Teil?
Ja, ich schreibe gerade am dritten Teil. Er heißt „Eine Herzengeschichte“ und darin geht es um eine Geschichte um einen alleinstehenden Vater, dessen Sohn durch einen Streit in der Schule stirbt. Es geht um Gewalt unter Kindern, Gewalt in der Gesellschaft und in der zweiten Hälfte geht es darum, wie eine Filmemacherin einen Kurzfilm darüber macht. Die Geschichte beruht zum Teil auf einer wahren Begebenheit. Und daneben denke ich schon seit über 15 Jahren darüber nach, gemeinsam mit meinem Bruder einen Spielfilm zu machen. Es wäre der erste.

Erzählen Sie mehr bitte?

Der Film heißt „Herr Duschek aus dem Gemeindebau“ und das ist eine surreale Coen-mäßige Farce, über den letzten Wiener Hausmeister, der am Tag seiner Frühpensionierung zu schrumpfen beginnt. Und jedes Mal, wenn er ein Arschloch ist, wird er ein bisschen kleiner bis er auf seine innere Größe schrumpft.