Ein paar symbolische Akte gegenüber dem Vorgänger hat sich der neue Staatsoperndirektor Bogdan Roscic dann doch einfallen lassen. Schon im September kehren zwei Dirigenten ans Pult des Staatsopernorchesters zurück, die während der Direktion von Dominique Meyer in Unfrieden gegangen waren. Ende September kehrt Bertrand de Billy mit dem französischen „Don Carlos“ von Verdi zurück, bereits am zweiten Abend der neuen Intendanz war es der Maestro Franz Welser-Möst. Dessen Rückkehr nach sieben Jahren Abstinenz wurde zum Triumphzug: Der ehemalige Musikdirektor der Staatsoper wurde bereits beim Auftritt frenetisch willkommen geheißen. Und dann lag auf dem Dirigierpult ein Werk, mit dem sich Welser-Möst auskennt wie nur wenige: die „Elektra“ von Richard Strauss. Der Dirigent ist kein Klangsensualist, der den Fin-de-Siècle-Charakter überreizt, sondern ein brillanter und energischer Sachwalter der Musik, der Strauss’ Orchester glänzen lässt, und nicht sich selbst.

Die herrlich melancholischen Färbungen, die das blutdampfende Stück hier erhält, verstärkt Ricarda Merbeth. Sie ist kein donnernder Racheengel, sondern ein Geschöpf des Leidens. Mit Camilla Nylund wartet die Wiederaufnahme mit einer in der Höhe strahlenden Chrysothemis auf und die Art und Weise, wie Doris Soffel ohne Eitelkeit die Klytämnestra als krankes Geschöpf auf die Bühne bringt, ist schlicht bewunderungswürdig. So viel Zerfall und Verdorbenheit war selten. Derek Weltons klangmächtiger Orest komplettiert das starke Ensemble.
Die Wiederaufnahme bringt eine Begegnung mit Harry Kupfers legendärer, archaisierender Inszenierung von 1989, einstmals live im TV übertragen und von Claudio Abbado dirigiert. Der im Dezember 2019 verstorbene Kupfer konnte seine Arbeit leider nicht mehr selbst auffrischen, doch Angela Brandts Einstudierung ist eine Erinnerung an eine Zeit, als eine solch ausgefeilte, tiefenpsychologische Personenführung noch eine Seltenheit war. Hans Schavernochs Bühnenbild mit der gestürzten Agamemnon-Statue und dem zerbrochenen Globus sagt alles und bleibt auch nach 31 Jahren ein genialer Wurf.