Es ist schon schauderhaft, welcher braune Urschlamm diesem 1809 auf zum Teil recht humpelnden Versfüßen in die Dramenwelt entlassenen germanische Mythenmonster innewohnt. Vorausgesetzt, man rührt an den richtigen Stellen um. Das taten die Nazis passend mit der rechten Hand – Heinrich von Kleists „Hermannsschlacht“ wurde zum Parade-Lobgesang auf treudeutsche Tugenden, auf Rachsucht, Herrenmenschentum und Verhetzung. Die Wörter salutierten und standen stramm. Kein Wunder, dass dieses Werk nach 1945 wegen all dieser Vorbelastungen in der Versenkung verschwand.

Dass es nun doch wieder hervorgeholt wurde, liegt wohl auch an einem persönlichen, aber aktuellen Prolog, wie ihn das Theaterleben eben so schreibt. Claus Peymann, damals noch in Bochum tätig, krempelte 1982 das vermeintliche Heldenepos völlig um. Mit Gert Voss in der Titelrolle, rebellisch, revolutionär, optisch nahe bei Che Guevara angesiedelt. Als Peymann das Burgtheater übernahm, zeigte er 1985 seine von vielen Kritikern bejubelte und als exemplarisch geltende Umdeutung auch in Wien.

Das ist lange her. Nicht so lange her ist es, da bot Peymann dem neuen Burgherrn Martin Kusej ein „große Inszenierung“ an; sein Angebot wurde dankend abgelehnt. Einer ging schmollend ab.

Nun mag es Zufall sein oder nicht, sicherlich aber kann die nun vom neuen Intendanten Kusej gezeigte Inszenierung im Burgtheater auch als Revanche im Teutoburger Wald erachtet werden. Oder als symbolischer „Vatermord“ hinter der Bühne. Denn Kusej konzentriert sich in seiner ersten echten Regiearbeit an der Burg (mehrere bestens bewährte Stücke wurden ja zuvor aus München übernommen) wieder ganz auf den Originaltext, dem es an Blut- und Bodenwortsalven keineswegs mangelt.

Bei ihm ist der Cheruskerfürst Hermann, meist emotionslos gespielt von Markus Scheumann, ein eiskalter Gefühlskalkulant und Stratege, der vor allem die Mittel der Massen-Manipulation perfekt beherrscht. Fast apathisch wirkt er mitunter, weil er einer Bestie, die Nationalstolz, Kriegswahn und Fanatismus in sich eint, freien Lauf ließ, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Seine Frau Thusnelda, furios gespielt von Bibiana Beglau, ist ihm treu und hündisch ergeben; selbst ihr Seitensprung erfolgt auf Kommando. Etwas grotesk ist es, dass die feindlichen Römer nicht selten in lateinischer Sprache parlieren; eher problematisch ist es, dass etliche Akteure viel zu leise und recht hölzern ihre Texte abliefern.

Kusej baut, auch optisch, in Kurzsequenzen auf einen dämonisch-diabolischen Gespensterreigen mit Wiedergängern, die ihren verbalen Einheitsbrei auftischen. Großartig unterstützt wird der aus Kärnten gebürtige Regisseur dabei durch seinen kongenialen Bühnenbildner Martin Zehetgruber, der Betonwellenbrecher, auch deutbar als mächtige Baumstümpfe, auf die Drehbühne wuchtete, einem Bollwerk gegen die Vernunft und Aufklärung gleichend. Womit wir da doch in der richtigen, rechten Zeit gelandet sind. Nach rund dreieinhalb Stunden hat zumindest der Spuk auf der Bühne sein Ende, mit kurzem, heftigen Applaus und einigen Buhrufen für den Regisseur bedacht.