Einen Raum der Extreme hat der neue Burgtheaterdirektor Martin Kušej angekündigt, „extrem kontrovers, extrem vielgestaltig, extrem dringend, extrem zeitgenössisch, extrem laut, extrem leise, extrem österreichisch, extrem international“. Schluss mit dem „Teutschen Nationaltheater“ josephinischer Prägung, her mit dem zeitgenössischen Vielklang eines wenn schon nicht globalen, so zumindest europäischen Theaterbetriebs. Kušej hat dafür Schauspieler aus Ungarn, Island, Israel, Estland engagiert, er lässt in seiner ersten Wiener Spielzeit Regisseure aus 13 Ländern inszenieren.

Den Anfang macht heute der deutsche Theater-Maschinist Ulrich Rasche mit Euripides’ „Die Bakchen“. Die Beschäftigung mit Masse und Macht zum Auftakt darf man durchaus programmatisch sehen: Der rebellische Kärntner Kušej, zuletzt Intendant am Bayerischen Staatsschauspiel in München, ist angetreten, aus dem kulturellen Nationalheiligtum an der Ringstraße einen Tempel des Widerstands gegen den gesellschaftlichen Diskursverlust zu machen.

Da wird er schön zu tun haben. Das Wiener Publikum, theaterverliebt, wie es ist, widmet sich seit jeher lieber der Schauspielerverehrung als der ungemütlichen Auseinandersetzung mit den künstlerischen, sozialen, politischen Herausforderungen, die der Theaterbetrieb zu bieten hat. Und die Kulturpolitik duckt sich seit Jahren weg, als wäre sie am liebsten schon ganz abgeschafft.

Fotoprobe "Die Bakchen"
Fotoprobe "Die Bakchen" © APA/HANS PUNZ

Wenigstens auf die sogenannten Wiener Großkritiker ist noch Verlass: Einige machen schon seit seiner Bestellung 2017 gegen Kušej mobil, ziemlich verlässlich wird auch der Tripledecker zum Saisonauftakt (auf „Die Bakchen“ folgt am Freitag die viersprachige Uraufführung von Wajdi Mouawads „Vögel“ am Akademietheater, am Samstag die Wien-Premiere von Kušejs Münchner Inszenierung von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“) ihr Missfallen finden. Das Interesse an der wichtigsten und größten Bühne des deutschsprachigen Raums wird das nicht mindern, und Kušej wird es wohl aushalten. Sein erster Spielplan ist offensichtlich als Beginn einer Ära angelegt. Im günstigsten Fall wird es eine Ära der Unruhe.