Tag zwei des Burgtheater-Tripledeckers zum Saisonstart: Auf Ulrich Rasche, der Euripides’ „Die Bakchen“ als Schaukasten rechtspolitischer Schwellvorgänge auf die Burg-Bühne gebracht hatte, folgte am Freitag das Kontrastprogramm im Akademietheater: die österreichische Erstaufführung des Dramas „Vögel“, in dem der kanadisch-libanesische Autor Wajdi Mouawad vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts Fragen von Identität und Zugehörigkeit verhandelt.

Regisseur Itay Tiran bringt hier mithilfe einer internationalen Darstellergespanns die Charaktere zum Schillern: Schauspielertheater als Balsam für alle, denen die chorische Strenge der „Bakchen“ zu monoton war. Zudem löst Burgtheaterdirektor Martin Kušej mit „Vögel“ die Ankündigung ein, aus dem einstigen „Teutschen Nationaltheater“ ein Haus für Europa und die Welt zu machen. Gespielt wird in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Hebräisch und Arabisch. Das funktioniert, dank allgegenwärtiger Untertitel.

Geschildert wird im fluiden Wechsel der Schauplätze und Zeitebenen die Liebesgeschichte des deutsch-jüdischen Genetikers Eitan (Jan Bülow) und der arabischen Historikerin Wahida (Deleila Piasko), in New York. Sein Versuch, sie in seine Berliner Familie einzugemeinden, scheitert am vehementen Widerstand Vaters David (Markus Scheumann), der das jüdische Erbe der Familie in Gefahr sieht. Dann kippt der eingangs noch recht komödiantische Text – Eitans Therapeuten-Mutter (Sabine Haupt) etwa betreut am Telefon die seelischen Nöte eines Berliner Sperma-Malers – in einen Thriller: Ein Selbstmordattentat in Jerusalem, der Holocaust, der Nahost-Konflikt, ein Kindsraub und die Geschichte eines vor 500 Jahren verschollenen arabischen Intellektuellen fügen sich zu einer Erzählung über labile Konstrukte von Identität, um Loyalitäten und Zugehörigkeiten – zu Familie, Liebespartnern, Volk, Sprache, Religion. Um das, was man dafür aufzugeben bereit ist. Und um das, was ein enger Wahrheitsbegriff zerstört. Das ist, alles in allem, ein bisschen viel, funktioniert aber dank eines hervorragenden Ensembles, aus dem Eli Gorenstein und Salwa Nakkara als sardonisches Großelternpaar herausstechen – und weil Mouawads blumiger, streckenweise recht pathossatter Text dem tragischen Konflikt um Wahrheitsdiktate und die Lügen, auf die man sich im Leben einigt, eine Dringlichkeit und Allgemeingültigkeit verleiht, die über die konkrete politische Situation weit hinausreicht. Langer Jubel mit Standing Ovations nach gut drei Stunden.