Sie haben, im Beisein einer Salzburger Abordnung mit der Präsidentin Helga Rabl-Stadler und dem Intendanten Markus Hinterhäuser, vor Kurzem Ihr umjubeltes Debüt im Teatro San Carlo in Neapel gegeben. Was macht denn das mit einem, wenn das enthusiasmierte Publikum lauthals „Sei brava, sei bravississima!“ oder Ähnliches zuruft?

CECILIA BARTOLI: Das ist pures Adrenalin, nicht nur für mich, auch für meine Orchestermusiker. Das Publikum in Neapel ist dieses Repertoire, das ich sang – Vivaldi, Boccherini, Händel – nicht so gewohnt. In Italien pflegt man ja generell hauptsächlich Verdi, Puccini, schon weniger Rossini und paradoxerweise kaum Barockmusik, obwohl gerade italienische Komponisten diese sehr prägten.

Ähnlich wie in Wien, der Klassik-Stadt schlechthin, wo lange Zeit kaum Repertoire vor Mozart aufgeführt wurde und die Alte Musik durch Pioniere wie Nikolaus Harnoncourt erst wiederentdeckt werden musste.

CECILIA BARTOLI: Ja, gottlob gab es Dirigenten wie ihn, die die Renaissance der Alten Musik in den letzten Jahrzehnten wieder vorantrieben. Man braucht für sie hervorragende Interpreten, die frei und zugleich tiefgängig spielen und singen können, damit die eigentliche Botschaft der Musik richtig erzählt und lebendig und prickelnd vermittelt wird.

Apropos prickelnd: Ich erinnere mich an ein Konzert mit Ihnen und Harnoncourt bei der styriarte 1998, mit Joseph Haydns „Armida“: Da waren Sie als orientalische Zauberin so feurig wie der Vesuv.

CECILIA BARTOLI: Oh ja, die Aufführung damals war wundervoll, und „Armida“ ist eine fantastische Oper. Schade nur, dass Haydns Bühnenwerke, etwa auch sein „Orfeo“ oder „Orlando paladino“, trotz ihrer Brillanz so sehr im Schatten des Genius Mozart stehen und immer noch selten aufgeführt werden.

Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser, Präsidentin Helga Rabl-Stadler und Bartoli in Neapel
Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser, Präsidentin Helga Rabl-Stadler und Bartoli in Neapel © Festspiele/Anne Zeuner


Ihre morgen beginnenden Salzburger Pfingstfestspiele widmen sich ganz den „Voci celesti“ – den „himmlischen Stimmen“ der Kastraten. Wie muss man denn heute deren so glanzvolle wie grauenvolle Geschichte erzählen?

CECILIA BARTOLI: Es war – speziell in Neapel –eine fürchterliche Tradition, die sich die damalige Gesellschaft herausnahm und über Jahrhunderte wegen einer „Mode“ pflegte: Man bildete Tausende Knaben aus armen Familien, denen man eine bessere Zukunft versprach, zwar musikalisch großartig aus, verstümmelte sie aber im Namen der Kunst. Kaum jemand stellte die Kastrationen seinerzeit in Frage, auch der Vatikan nicht, denn Frauen durften in Kirchen nicht singen, aber in den Chören brauchte man hohe Stimmen. An diese Grausamkeiten wollen wir beim Festival erinnern, aber natürlich auch an die unglaublichen Werke, die den Kastraten auf den Leib geschrieben wurden. Georg Friedrich Händel, Nicola Porpora und Zeitgenossen hätten ohne die Inspiration solcher Virtuosen wie Senesino oder Farinelli vermutlich nie so fantastische Musik geschrieben. Und es ist trotz der tragischen Geschichte der Kastraten faszinierend, diese so außerordentliche Musik auch heute noch von außerordentlichen Interpreten hören zu können.

Von den beiden Komponisten stammen ja auch die zwei Opern, die Sie jetzt präsentieren: Händels „Alcina“ und Porporas „Polifemo“.

CECILIA BARTOLI: Händel war, gerade in seiner Zeit in England, zum absoluten Genie gewachsen und hatte unglaublichen Erfolg. Dann zog auch Porpora von Neapel nach London. Die Rivalität zwischen den beiden ergab noch einmal einen Schub, einen kreativen Wettbewerb ohnegleichen. Den wollen wir bei den Pfingstfestspielen zeigen, und daneben auch mit allen anderen Konzerten die Schönheit, die Virtuosität und den Farbenreichtum der Barockmusik.



Und? Wer wird die nächsten acht Jahre die Pfingstfestspiele leiten?

CECILIA BARTOLI: (schmunzelt) Ach, da muss ich mich erst mit Helga (Rabl-Stadler) und Markus (Hinterhäuser) zusammensetzen. Es war für mich ein Traum, dass mir die Festivalleitung übertragen wurde. Ich bin stolz darauf, was wir seit 2012 erreicht haben – künstlerisch, mit wirklich großen Musikern, aber auch wirtschaftlich. Und natürlich sprudeln die Ideen weiter aus mir.

Und Sie organisieren und konzipieren nicht nur, sondern singen auch heuer wieder die Hauptrolle.

CECILIA BARTOLI: Ja, in der „Alcina“. Oper braucht halt totalen Einsatz.

Den Sie in Konzerten ebenso zeigen. Von den drei Stunden im Teatro San Marco in Neapel sangen Sie zwei Stunden volles Programm, und auch nach der siebten Zugabe wirkten Sie so frisch wie am Anfang. Wie geht das?

CECILIA BARTOLI: Mit kluger Programmwahl, exakter Vorbereitung, einer schlüssigen Dramaturgie. Außerdem: Wenn man so lang wie ich auf Bühnen steht, kennt man natürlich sein geheimnisvolles Instrument namens Stimme in- und auswendig. Und Stärke, Einsatzfreude und Leidenschaft gehören für mich selbstverständlich auch dazu.

Und Magie! Sie sind ja – Verzeihung! – eine Hexe.

CECILIA BARTOLI: Ja, das ist wahr. Ich muss auch hexen können, schon gar als Zauberin Alcina. Ich bin eine gefährliche Sängerin. Mal sehen, was ich mit den Opfern mache, die auf der Insel vorbeikommen (lacht schallend).

Cecilia Bartoli als Alcina mit Tänzern und Chor
Cecilia Bartoli als Alcina mit Tänzern und Chor © Festspiele/Matthias Horn