"So viele Stars! Da kann man gar keine Rückschlüsse auf die Gewinnerinnen und Gewinner machen", wunderte sich der Kommentator beim Einstieg vom roten Teppich. Die Preisverleihung der 76. Filmfestspiele in Cannes endete gestern mit einigen Überraschungen: Die Goldene Palme 2023 geht an die Französin Justine Triet für ihren Psychothriller "Anatomy of a Fall". Sie ist erst die dritte Frau, die den Hauptpreis an der Croisette gewinnt. Jane Fonda überreichte ihr den Preis.

In "Anatomy of a Fall" verkörpert die deutsche Starmimin Sandra Hüller eine Autorin, die verdächtigt wird, ihren Mann getötet zu haben – doch eindeutig ist der Fall nicht und Zeugen gibt es keine. Das Paar hat einen blinden Buben, der zur Zeit des Vorfalls mutmaßlich außer Haus war. Dem psychologischen Justizdrama geht es nicht vordergründig darum aufzuklären, was passiert ist. Stattdessen handelt es von der Grenze zwischen Fiktion und Realität und dem Scheitern einer Ehe. Hüller spielt eine undurchsichtige Frau mit vielen Facetten. Ihr Spezialgebiet. "Es ist der intimste Film, den ich je gemacht habe", sagte Triet bei ihrer Dankesrede. Und schlug dann doch kritische Töne an: Nachdem sie den Schauspielern und dem restlichen Filmteam gedankt hatte, erwähnte sie die "historischen, extrem mächtigen, einstimmigen Anfechtungen" der Pensionsreform, die "auf schockierende Weise verleugnet und unterdrückt" würden, und kritisierte "dieses Schema einer herrschenden Macht, die immer unverkrampfter wird".

Hüller übrigens spielte auch im britischen Wettbewerbsfilm "The Zone of Interest" von Jonathan Glazer mit, der von der Jury unter dem Vorsitz von Ruben Östlund mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Es handelt sich um ein deutschsprachiges Drama, das in NS-Zeit spielt und auf dem gleichnamigen Roman von Bestsellerautor Martin Amis beruht.Der Finne Aki Kaurismäki nahm den Preis der Jury für seine tragikomische Lovestory "Fallen Leaves" entgegen. Die türkische Mimin Merve Dizdar holte sich die Palme als beste Schauspielerin für "About Dry Grasses" von Nuri Bilge Ceylan ab. Als bester Schauspieler wurde der Japaner Koji Yakusho für seine Rolle in "Perfect Days" vom deutschen Regiestar Wim Wenders gewürdigt. Den Preis für das beste Drehbuch erhielt Yuji Sakamoto für "Monster" von Hirokazu Koreeda geehrt. Jurymitglied John C. Reilly setzte der Bekanntgabe eine lange Pause voraus – als Statement der Unterstützung für die in den USA streikenden Drehbuchautorinnen und -autoren.

Der österreichische Wettbewerbsbeitrag "Club Zero" von Jessica Hausner indes ging leer aus. Die ersten Preise wurden indes schon am Freitagabend vergeben: Hirokazu Kore-edas Film "Monster" aus Japan heimste die Queere Palme ein, während die britische Regisseurin Molly Manning Walker mit ihrem Debüt "How To Have Sex" in der Sektion Un Certain Regard reüssierte.