Jede Form ist veränderlich, verändert sich mit der Zeit, mit der Betrachtung, mit der Interaktion. Ihre Genese ist nichts als eine alltägliche Geisterbahnfahrt mit offenem Ausgang. Auch deswegen bieten das Stollensystem und der Dom des Schloßbergs ein Ambiente, in das sich das Theater im Bahnhof mit dem Graz-2020-Projekt „Oktoberfest“ faltenfrei einfügt. Auf zwei Seiten des Doms wird die Decke zur Video-Projektionsfläche des letztjährigen Volksfest Aufsteirern, dazwischen spielen elf Figuren um ihre Würde und ein bisschen Freude – auch wenn sich dies zuweilen ausschließt.

© (c) Johannes Gellner

Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ liefert die Konturen des Bildes, das Regisseur Ed. Hauswirth zeichnet und als konsequent jetzige Inszenierung in der Gegenwart verortet: Kasimir (Matthias Ohner) verliert als Folge von Corona und Automatisierung seine Stelle als Bankmitarbeiter, Karoline (Pia Hierzegger) in der weiteren Folge ihre Freude an Kasimir. Am mit dem Aufsteirern assoziierten Fest treffen die beiden auf ein Kuriositätenkabinett menschlichen Daseins: Lust und Laune, kriminelle Energie und lähmende Lethargie.

© (c) Johannes Gellner

Neben Horváths Vorlage weisen die Themen Arbeit, Solidarität, Aufsteirern und Corona den Weg in den Niedergang. Die Pandemie wirkt dabei nie wie ein künstliches Additiv, sondern fügt sich glaubhaft ein: Eigenverantwortung, Abstand“ erinnert eine anonyme Stimme aus dem Lautsprecher. Und Karoline hätte sich eine zweite Welle gewünscht: Nie war die Zeit mit Kasimir so schön wie im Lockdown. Zentral gestellt ist die Kälte sozialen Zusammenlebens, die abwechselnd hinterfragt und auf die Spitze getrieben wird: Auf der „Volkskulturchallenge“ gewinnt, wer sich zum Hampelmann macht und mit seiner Geschichte berührt. Wer hoch hinaus will, muss sich zuerst tief bücken.

Am Ende der Geisterbahnfahrt mutieren die Festbesucher zu musealisierten Figuren und Fratzen. Wegrationalisierte Kellner werden von Staubsaugerrobetern ersetzt, die das Bier, vielleicht, bringen. An die Ekstase des Festes erinnern bestenfalls ein Kater, schlechtesten falls das Unglück.