Sie wurden 1981 in Teheran geboren, kamen mit zwei Jahren nach Wien und sind unter anderem im Flüchtlingsheim Traiskirchen aufgewachsen. Sie hatten Lernschwierigkeiten und stotterten. Wie wurde aus diesem Burschen der Whatchado-Gründer und EU-Jugendbotschafter auf Lebenszeit? Wann hat sich der Knopf gelöst?
ALI MAHLODJI: Es gab mehrere Momente. Ich habe meine Stimme aber eigentlich gefunden, als ich Whatchado gestartet habe. Ich hatte von Kindesbeinen an die Neugierde zu verstehen, was Menschen antreibt. Ich habe in meiner Jugend erlebt, was es mit einem macht, wenn man nicht wahrgenommen wird. Als ich gestottert habe, der Tschusch war. Als ich Ferialjobs hatte und sich niemand die Mühe machte, wenigstens zu versuchen, meinen Nachnamen richtig auszusprechen.

Auf Whatchado zeigen Menschen in kurzen Videos, was sie beruflich machen. Sie hatten nach der Schule 40 Jobs. Ihr Buch heißt „Entdecke dein Wofür“. Wie können junge Menschen ihre Talente entdecken?
Die ersten zehn Jahre nach der Schulzeit sind zum Ausprobieren da. Man hatte als jugendlicher Mensch bis zum 18. Lebensjahr meistens noch nie die Chance, etwas zu probieren. Und nach der Schule ist man plötzlich gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Man muss da noch nicht wissen, was man vom Leben will. Es ist in Ordnung, zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr Jobs für einige Zeit auszuprobieren und dann zu sagen: Jetzt habe ich dazugelernt, nun ziehe ich weiter.


Werfen Sie einen Blick in die Zukunft: Wie wird die Arbeitswelt aussehen?
Sie entwickelt sich stark in Richtung Flexibilität. Wir werden jungen Menschen nicht mehr sagen, dass ein Angestelltenverhältnis sicher ist, sondern die Selbstständigkeit. Zum Beispiel: Covid-19 kommt, Kurzarbeit, 40 Prozent der Mitarbeiter müssen gehen. Der Angestellte denkt sich: Was mache ich jetzt? Als Selbstständiger hat man es in der DNA, sich an aktuelle Verhältnisse anzupassen. Es wird in Zukunft auch um Fähigkeiten gehen, und nicht um eine Position, die man sich erarbeitet hat. Wir werden beginnen müssen, über neue gesellschaftliche Modelle nachzudenken. Was tun wir mit Leuten, deren Job von einem Roboter übernommen wird? Man wird einen Fließbandarbeiter nicht zum Programmierer umschulen können. Wenn derjenige aber empathisch ist, kann man ihn so begleiten, dass er in die Altenpflege geht. Diese gesellschaftlichen Fragen müssen wir uns stellen, aber aktuell sprechen wir nur über Jobs.

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Coronakrise oder Arbeitsalltag: Zwischen Alt und Jung gibt es in vielen Bereichen eine Kluft. Wie kann man zusammenfinden?
Wir müssen aufhören, aus unserem eigenen Standpunkt zu erzählen und dann, wenn wir falsch verstanden werden, diese Wut dem Gegenüber umzuhängen. Man sollte in die Neugier gehen und sich fragen: Warum denkt der so? So macht man einen Denkraum auf, in dem der andere sich nicht rechtfertigen muss, sondern erzählen kann. Deswegen brauchen Unternehmen auch interne Vermittler.

Sie sind EU-Jugendbotschafter auf Lebenszeit, sagen aber, dass es für Sie keine Jugendlichen oder Erwachsenen gibt. Wie darf man das verstehen?
Wir sind nur Experten fürs eigene Leben. Außer man fragt bewusst: Wie siehst du das? Ein Beispiel, das ich bei Schulungen mit Führungskräften immer bringe: Was fällt Ihnen zur Farbe Rot ein? Einer sagt Liebe, der andere Tod, Austrian Airlines, Ampel. Und dann nehmen wir einmal den Begriff Respekt. Was passiert nun, wenn man miteinander spricht? Jeder spricht nur über seine eigene Definition. Wenn man das versteht, ein Vermittler und Mediator ist, dann kann man dafür sorgen, dass sich beide Seiten wohl- und abgeholt fühlen.


Ihre Abwesenheitsnotiz lautet: „Meine Frau und ich haben beschlossen, dass unsere Tochter in einem Haushalt aufwachsen soll, in dem sowohl Vater als auch Mutter sich um das Kind kümmern, und zwar zu gleichen Teilen. Heute bin ich dran und da ich ganz für meine Tochter da sein will, werde ich keine E-Mails beantworten.“ Wie reagieren die Leute auf diese Nachrichten?
90 Prozent lieben sie oder fragen mich, ob sie sie in irgendeiner Form kopieren dürfen. Ich hatte auch schon Anfragen, ob man sie ins Intranet stellen darf als Beispiel dafür, wie es in der Firma auch funktionieren kann. Weniger als zehn Prozent, schreiben mir oder posten öffentlich so à la: Warum musst du dich so wichtigmachen? Das sind dann immer Männer, meistens über 40. Ich bin ja nicht der Einzige, der das so lebt, aber trotzdem gilt bei vielen immer noch das alte klassische Modell. Wenn ich beispielsweise in einer Runde sage, dass ich jetzt heimfahre, um mich um unsere Tochter zu kümmern, sagen alle: „Wow, super, dass du das machst!“ Wenn meine Frau das sagt, sagen alle: „Aha.“ Und nur, weil ich ein Mann bin, der nichts dafür gemacht hat, bekomme ich die ganze Zeit Lob. Das muss sich ändern.

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