Männer, Frauen, Jugendliche – im Kompetenzzentrum Ladybird kommt es im Jahr durchschnittlich zu 400 Klientenkontakten. Dabei haben die Therapeutinnen und Beraterinnen in den vergangenen Jahren eine bedenkliche Tendenz beobachtet: Die Gewaltbereitschaft nimmt zu, die Frustrationstoleranz nimmt ab und die Empathielosigkeit ist erschreckend.

„Man sieht den Anstieg in unserer Statistik mit Ende des zweiten Corona-Lockdowns. Allein von 2022 bis 2023 haben die Gewaltthemen in unseren Beratungen um zehn Prozent zugenommen“, sagt Geschäftsleiterin Kerin Stephanides. Natürlich kämen die Klienten nicht direkt mit einem Gewaltproblem, das sei zu schambehaftet. „Meist geht es um eine andere Problematik, erst dann wird der Eisberg Gewalt sichtbar“, hat Stephanides beobachtet. Gerade bei Jugendlichen von 14 bis 18 sei die Gewaltbereitschaft gestiegen – hier vor allem bei den Mädchen. Dazu käme eine schockierende Empathielosigkeit, nach der Tat gibt es keine Reue oder Mitgefühl für das Opfer. Gepaart ist das mit einer niedrigen Frustrationstoleranz, nach dem Motto: „Mir steht das zu, nehm ich mir. Dafür muss ich nichts leisten. Ich darf das.“

Gründe nicht in Gewalterfahrung

Stephanides: „Die Öffentlichkeit hat sich stark auf die Thematik Gewalt an Frauen konzentriert. Das ist und war wichtig. Aber im Hintergrund hat sich etwas aufgebaut, das, ja, bedrohlich ist.“ Bei der jugendlichen Gewalt sei außerdem gar nicht mehr ein eigenes traumatisches Erlebnis ein Auslöser. Aber: „Nicht nur Jugendliche schlagen zu, auch Frauen zwischen 35 und 45 verzeichnen statistisch einen Anstieg an Gewaltbereitschaft“, sagt Stephanides. „Da werden Männer zu Gewaltopfern. Zugeschlagen wird auch mit Gegenständen, Schuhlöffel oder anderen Dingen.“

Wenn solche elterlichen Auseinandersetzungen im Beisein der Kinder noch mit modernen Erziehungsüberzeugungen, wie zum Beispiel „bedürfnisorientiertes Erziehen“, keine Grenzen oder „Neins“, oder einem unbegrenztem Internet- oder Videospielzugang kombiniert werden, seien auch Verhaltensauffälligkeiten nicht weit. Unter 10-Jährige, die glauben, sie leben in einer Videospielwelt und nur noch dort zu einem Gespräch erreichbar sind, verbale Gewalt, die sich in der Alltagssprache der Familien ausdrücken – in der Familienintensivbetreuung begegnen die Berater und Beraterinnen allem. Und leider auch in den Beratungssituationen: „Wir machen nun alle Selbstverteidigungskurse“, erzählt Stephanides. „Denn auch in den Beratungssituationen ist es schon zu Angriffen gekommen.“ All diese Erfahrungen fließen nun in neue Projekte ein, bei denen Gewalt, Formen der Gewalt und Mitgefühl auch bei Schul-Workshops und in der direkten Arbeit mit Jugendlichen ab diesem Jahr eine zentrale Rolle spielen wird.