Herr Latif, wie beurteilen Sie das Klima-Paket der Europäischen Kommission "Fit for 55"?
MOJIB LATIF: Auf dem Papier ist das schon ambitioniert, was hier vorgelegt wurde. Speziell was die Automobil-Industrie betrifft. Dagegen ist nichts zu sagen. Die Frage ist allerdings, ob sich das so realisieren lässt. Gerade was den Verbrennungsmotor betrifft, wird das Verhalten der deutschen Regierung spannend werden. Wir befinden uns ja schon im Wahlkampf (Bundestagswahl in Deutschland findet am 26. September statt, Anm.) und was Klimathemen betrifft habe ich etwa von den Unionsparteien noch herzlich wenig gehört - aus Angst vor dem Wähler.

Welche Punkte im Programm halten Sie für unerlässlich?

Auch Strafzölle auf EU-Importe, die nicht nachhaltig produziert werden, sind unerlässlich, damit etwa Billigprodukte aus China nicht unsere Märkte überfluten und beschädigen. Wenn wir nur Europa klimafit machen und dabei andere Teile der Welt nicht mitdenken, wird uns das auf den Kopf fallen. 

Reichen die Vorhaben im Klimapaket dafür aus? Ist Europa mit der Agenda alleine?
Auch die USA müssen unter Joe Biden nun schnell reagieren und den Klimaschutz zur Chefsache machen. Und das wird auch zeitnah passieren. Erstens, weil das ja schon angekündigt ist. Zweitens, weil die Amerikaner schon bald wieder wählen (Midterm Elections im November 2022, Anm.) und demnach auch politischer Druck herrscht.

Aber solch tiefgreifende Änderungen müssen in Demokratien ja mehrheitsfähig sein.
Na ja, die Wetterkapriolen der jüngeren Vergangenheit haben uns ja wieder daran erinnert, was hier geschieht und was uns noch bevorsteht, wenn wir nicht handeln. Vielleicht fällt der Groschen ja mal - auch bei den Kritikern und Leugnern. Denn früher oder später werden wir alle vom Klimawandel betroffen sein.

Mojib Latif ist deutscher Klimaforscher und lehrt an der Uni Kiel. Zudem ist er Präsident den deutschen Club of Rome.
Mojib Latif ist deutscher Klimaforscher und lehrt an der Uni Kiel. Zudem ist er Präsident den deutschen Club of Rome. © Summerer

Beinahe alle Wortmeldungen zum Paket von der Kommissionspräsidentin abwärts betonen, dass nicht wieder die Bürger alleine für die Klimaschutzmaßnahmen aufkommen sollen. Dabei ist das aber natürlich großteils steuerfinanziert und die großen Konzerne werden Mehrkosten vermutlich 1:1 an Kunden weiterreichen. Wie sollte man hier agieren?
Natürlich muss man die Konzerne stärker in die Pflicht nehmen. 

Wir sehen natürlich, dass das schwierig wird, etwa an der globalen Mindeststeuer von 15 Prozent. Andererseits finde ich, das ist noch zu wenig - wenn ich daran denke, wie viel ich an Steuern zahlen muss. 

Wir müssen die großen Verschmutzer also von nachhaltigeren und damit teureren Produktionsbedingungen überzeugen und zusätzlich noch davon, dass sie das möglichst selbst bezahlen. Ist das realistisch?
Es ist nicht so, als hätten die Konzerne keinen Druck. Zum politischen kommt auch jener der Anleger hinzu. Ich hatte erst heute Morgen ein Meeting mit Investoren aus der Versicherungsbranche. Die haben mir glaubhaft versichert, dass sie auch ein großes Interesse an der Entwicklung haben und dass Nachhaltigkeit ein immer wichtigerer Faktor wird. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber da bewegt sich schon etwas. Dazu kommen ja neue Nischen oder ganze Märkte, die natürlich auch großes wirtschaftliches Potenzial haben. Und die werden immer attraktiver. 

Die Anreize zu mehr Nachhaltigkeit reichen also aus, um ein rein gewinnorientiertes Handeln infrage zu stellen? 
Ich denke schon. Zudem muss sich das auch nicht in allen Bereichen ausschließen. Wir sehen ja auch, dass etwa der Emissionshandel in der EU auch Auswirkungen hat. Die Preise explodieren. Deshalb wollen ja jetzt alle die Anteile an den Kohlekraftwerken loswerden. Auch die Versicherer haben kaum mehr Interesse daran.