In drei Wochen wollte Boris Johnson so gut wie alle Covid-Restriktionen in England aufheben. Der 21. Juni – Mittsommer – sollte „der Tag der Freiheit“ sein. Nun aber fürchtet der Briten-Premier, man müsse mit einer Entscheidung über das Ende des Lockdowns „vielleicht noch etwas warten“. Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng meinte etwa am Freitag, die aktuelle Zahl an Neuinfektionen sei ein klarer „Grund zur Beunruhigung“.


Die Unruhe rührt nicht nur daher, dass die Infektionsrate erstmals seit sechs Wochen wieder am Steigen ist auf der Insel – am Donnerstag dieser Woche lag sie mit 3500 Fällen um ein Viertel über der vom gleichen Tag in der Woche zuvor. Besorgnis erregt vor allem, dass die gefürchtete „indische Variante“, B.1.617.2, sich nun in vielen Teilen des Landes sehr schnell ausbreitet. Sie soll, laut Gesundheitsminister Matt Hancock, womöglich schon drei Viertel aller neuen Covid-Fälle ausmachen.

Indische Variante dominiert bereits

Den Gesundheitsbehörden zufolge hat sich die Zahl neuer Infektionen mit der „indischen Variante“ binnen einer Woche in England glatt verdoppelt. In Nordirland und Schottland sieht es nicht besser aus. In einigen „Hotspots“, wie im nordenglischen Bolton, wird bereits eine deutliche Zunahme der Krankenhaus-Einweisungen gemeldet. Mit Bangen fragt man sich nun, ob eine neue Rekordzunahme an Infektionen, wie man sie erwartet, auch eine weitere Welle schwerer Erkrankungen nach sich ziehen muss.


Minister Hancock hofft jedenfalls, dass der gute Impf-Erfolg der letzten Monate in Großbritannien „die Verbindung zwischen Ansteckungs- und Erkrankungsfällen brechen wird“. Unter den Klinik-Patienten befänden sich nur wenige Personen, denen bereits zwei Impf-Dosen verabreicht worden seien. Covid-Experten weisen freilich darauf hin, dass bisher nur 44 Prozent aller Erwachsenen in Großbritannien die volle Impfung erhalten haben, und dass auch Impfungen natürlich keinen hundertprozentigen Schutz bieten, zumal nicht gegen eine Variante wie B.1.1617.2.

Gegen Lockerungen

Gegen übereilte Lockdown-Lockerungen plädiert deshalb auch Professorin Christina Pagel vom University College London. Im Unterschied zur Zeit vor zwei Monaten, meint Pagel, finde man sich nun immerhin „in einer Situation, in der wir eine dominierende Variante haben, die das Virus schneller überträgt und gegen die unsere Impfstoffe weniger wirksam sind“. Auch Pagels Kollege Andrew Hayward rät zur Vorsicht. Zweifellos sei mit „der Indischen“ ein explosiver Anstieg der Neuinfektionen zu erwarten, warnt Hayward. Hebe man weitere Restriktionen auf, verdopple sich die Zahl der Infektionen nicht nur jede Woche, „sondern in sehr viel kürzerer Zeit“.

Auch in Österreich könnte Variante zu Problemen führen


Auch in Österreich könnte die indische Variante im Herbst Probleme machen. Eine Modellrechnung Wiens, die zuletzt in der Ampel-Kommission angesprochen wurde, geht davon aus, dass schon bei geringer Anzahl an Fällen der indischen Variante im Frühsommer und nicht ausreichender Durchimpfung eine weitere Pandemiewelle im Herbst zu erwarten sei.