Der Nobelpreis für Medizin geht an die Ungarin Katalin Karikó und den US-Forscher Drew Weissman. Sie erhalten die Auszeichnung für ihre Entdeckungen, die die Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 ermöglichten, teilte das Karolinska-Institut in Stockholm mit. Die Nobelpreise sind heuer mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 930.000 Euro) dotiert.

Auf Basis der Arbeit von Karikó und ihres Kollegen Weissman konnten in Rekordzeit zwei mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelt werden, "die zusammen Millionen Leben gerettet haben", hieß es bei der Bekanntgabe in Stockholm. "Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei", so das Nobelkomitee.

In Zukunft auch für die Krebstherapie

Die beeindruckende Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der mRNA-Impfstoffe entwickelt werden könnten, ebne den Weg für die Nutzung der neuen Plattform auch für Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten. "In Zukunft könnte die Technologie auch zur Verabreichung therapeutischer Proteine und zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt werden. Mehrere andere Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, die auf unterschiedlichen Methoden basieren, wurden ebenfalls rasch eingeführt, und insgesamt wurden weltweit mehr als 13 Milliarden Covid-19-Impfdosen verabreicht", so das Komitee.

Der Generalsekretär des Nobelpreiskomitees, Thomas Perlmann, konnte beide Preisträger telefonisch erreichen, wie er während der Pressekonferenz erklärte: "Sie waren beide sehr glücklich." Karikó habe sich "überwältigt" gezeigt. Sie habe es auf ihren Karriereweg nicht immer leicht gehabt, so Perlmann. Vor rund zehn Jahren habe sie ihre Position verloren und musste in der Folge nach Deutschland gehen.

Langjährige Forschung an mRNA

Ihren Ausgangspunkt nahm die nun ausgezeichnete Forschung bereits in den 1980er-Jahren, als gezeigt wurde, dass mRNA in großem Stil hergestellt werden kann. In der Folge wurde jedoch klar, dass im Reagenzglas, "in-vitro", hergestellte mRNA Nebeneffekte hatten. Im Gegensatz zu den gleichen Strukturen, die aus menschlichen Zellen stammten, lösten sie Entzündungsreaktionen aus, was klinische Anwendungen erschwerte.

Aus Mangel an Fördergeldern forschte Karikó im Labor zunächst weitgehend auf sich allein gestellt, ab 1998 auch mit Drew Weissman an der University of Pennsylvania an dem Problem. Karikó kam aus der Richtung der Biochemie und Weissman aus der Immunologie, wo er sich mit dendritischen Zellen beschäftigte, die eine wichtige Rolle in der Immunüberwachung spielen. Diese Zellen erkannten die in-vitro hergestellte mRNA als fremd, während mRNA aus Säugetierzellen diese Reaktion nicht hervorrief.

Karikó und Weissman machten daraufhin sorgfältige Experimente mit verschiedenen Modifikationen in der mRNA. Währen nämlich in den Strukturen aus den Säugetierzellen verschiedene veränderte Basen zu finden waren, fehlten diese in den in-vitro-mRNAs. Indem sie verschieden modifizierte mRNA in dendritische Zellen einbrachten, konnten sie zeigen, dass bei bestimmten Konfigurationen die Entzündungsreaktionen nahezu völlig ausblieben. Ihre Erkenntnisse wurden im Jahr 2005 publiziert - also rund 15 Jahre vor der Covid-19-Pandemie.

Körper stellt "Impfstoff" selbst her

Die Tragweite ihrer Entdeckung erhöhte sich weiter als die beiden 2008 und 2010 zeigten, dass mRNA mit Basen-Modifikationen auch die Protein-Produktion erhöhten. Damit waren die größten Hindernisse auf dem Weg zu mRNA-Impfstoffen aus dem Weg geräumt. Bei dieser Vakzin-Technologie ist es nämlich entscheidend, dass die Körperzellen auf Basis der genetischen Bauanleitung, die die mit dem Impfstoff verabreichte mRNA enthält, selbst die Proteinstrukturen aufbauen, an die das Immunsystem sozusagen gewöhnt werden soll.

Trotz Tiefschlägen setzte Karikó ihren Weg fort und traf 2013 Ugur Sahin, der mit seiner Frau Özlem Türeci Biontech gegründet hatte. Er habe ihr noch am selben Tag einen Job angeboten, sagte Karikó der "New York Times". Nach jahrelanger Zusammenarbeit hat sie das Unternehmen verlassen und ist seit Anfang Oktober 2022 nur noch dessen Beraterin. Letztlich erregte die mRNA-Technologie größere Aufmerksamkeit der Pharmaindustrie, was auch zu den beiden ersten zugelassenen mRNA-Vakzine gegen Covid-19 der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna führte.

Die Nobelpreisträgerin im Interview

In einem Interview mit der Kleinen Zeitung betonte Karikó auch, dass mRNA-Impfstoff nicht als Corona-Vakzin geplant war: "Mein ursprüngliches Vorhaben war, einen mRNA-Impfstoff für spezielle Therapiezwecke zu erzeugen wie etwa für Aids, Schlaganfall und Krebs."

Der Weg zu einer erfolgreichen mRNA-Technologie war ein steiniger, wie sich Kariko erinnert: Zunächst waren die Versuche gescheitert, da es im Körper zu Entzündungsreaktionen kam. Diese Reaktionen in den Griff zu bekommen, war der Durchbruch, der Karikó und Weissman gelang: "Drew Weissman und meine Schlussfolgerung war, die Lösung liegt in der Herstellung einer nicht-entzündlichen mRNA. Die Zellen dürfen die injizierte Boten-RNA nicht für einen Fremdkörper halten, sondern müssen ihn für einen körpereigenen Stoff halten. Wir modifizierten einen der vier Bausteine der mRNA und damit gelang uns der durchschlagende Erfolg", erinnert sich Karikó.

Die Nobelpreise sind heuer mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 930.000 Euro) dotiert. Die Auszeichnung bildet den Auftakt für die Nobelpreis-Woche. Im vergangenen Jahr war die prestigeträchtige Auszeichnung an den in Deutschland arbeitenden schwedischen Forscher Svante Pääbo für seine bahnbrechenden Erkenntnisse zur menschlichen Evolution gegangen.

Am Dienstag erfolgt die Bekanntgabe der Preisträger für Physik, Chemie folgt am Mittwoch, Literatur am Donnerstag, der Friedens-Nobelpreis - der in Oslo bekannt gegeben wird - am Freitag und am Montag darauf die Wirtschaftswissenschaften.

Die Auszeichnung wird traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, verliehen.