Fein säuberlich aufgehängte Wäsche baumelt an einer Leine, die quer über die Straße gespannt ist. Frauenkleidung wie die traditionellen Longyi-Wickelröcke oder auch Unterwäsche trocknen unter der heißen Sonne. An sich nichts Ungewöhnliches im Straßenbild von Yangon, der größten Stadt und dem wirtschaftlichen Zentrum Myanmars. Doch auf der einen Seite der Wäscheleine stehen die Sicherheitskräfte, auf der anderen die Demonstranten. Sie trennt nur der Aberglaube. Um Polizei und Soldaten auszubremsen, wurde die Wäsche aufgehängt. Hintergrund ist der verbreitete Glaube, Männer würden nach dem Unterqueren von Frauenkleidung vom Pech verfolgt. An manchem Tag funktioniert der Trick. Tatsächlich zeigen Videos, wie Polizisten zunächst die Wäscheleinen beseitigen, bevor sie ihren Weg fortsetzen. Doch generell ist es wenig, was das vom Militär geführte Sicherheitspersonal aufhält, gegen den zivilen Ungehorsam in Myanmar brutalst vorzugehen.


„Ich versuche zu überleben, physisch wie auch psychisch“, schreibt ein Freund. Und beschreibt in wenigen Worten alles. Sein Stadtviertel sei eingekreist. Auch ich wohnte in meinen eineinhalb Jahren bei einer Hilfsorganisation in Myanmar dort. Niemand könne rein oder raus. Demonstranten werden nicht mehr nach Hause gelassen. Sie suchen Unterschlupf in Häusern von Bekannten oder Fremden. Die Polizei versucht sie aufzuspüren. Jederzeit könne es auch an seiner Tür klopfen. „Doch auch das wird uns nicht stoppen“, schreibt mein Freund. Und da ist er wieder, dieser unglaubliche Mut, die unglaubliche Entschlossenheit. Menschen, die ich als offenherzig und oft konfliktscheu kennengelernt habe, stehen nun in der Schusslinie der Militärjunta und wollen unerschrocken nicht weichen. „Ihr habt euch mit der falschen Generation angelegt“, so das Motto der Widerstandsbewegung. Und so scheint es zu sein.


Vielleicht wegen der vielen schmerzhaften Erinnerungen an über 50 Jahre Militärdiktatur. Es dauerte viele Monate des Kennenlernens, bis mir eine damalige Kollegin davon erzählte. Von der ständigen Angst, das Falsche zu tun oder auch nur zu sagen. Von der Abgetrenntheit vom Rest der Welt. Von der Gewalt. Von einem fremdbestimmten Leben. „Dahin wollen wir nicht zurück. In diese Dunkelheit“, sagt sie.


Und die Jüngeren? Viele von ihnen sind die meiste Zeit ihres Leben in der Demokratie aufgewachsen. Doch sie wissen aus Erzählungen, dass die Proteste nach dem letzten Putsch von 1988 gewaltsam niedergeschlagen wurden. Und trotzdem stehen sie täglich auf der Straße. Auch Hnin Nu Hlaing. Eigentlich betreibt die 39-jährige Burmesin eine Reinigungsfirma, doch seit das Militär Anfang Februar putschte, ist sie vor allem Aktivistin. Denn jetzt gehe es um alles: „Wir haben in dunklen Zeiten über 50 Jahre gelebt. Elf Jahre lang haben wir die Freiheit gekostet. Nun wollen wir nicht mehr zurück“, betont sie energisch. „Wir wissen, was Demokratie bedeutet, und wir verdienen sie. Wenn unser Protest nun scheitert, bedeutet das Diktatur für weitere Jahrzehnte“, ist sie sich sicher.


Vielleicht hielt die Schockstarre nach dem Putsch deshalb keine 72 Stunden an. Sehr schnell artikulierten die Menschen ihre Wut und Frustration in den sozialen Medien. Es formierte sich eine Bewegung des zivilen Ungehorsams, zuerst von Ärzten und Krankenschwestern, der sich inzwischen auch Lehrer, Beamte, vereinzelt Polizisten und Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, Ethnien und Religionen angeschlossen haben. Drei Tage nach dem Putsch manifestierte sich der Widerstand auch auf den Straßen. Jeden Tag wurden die Proteste größer. Und die Repressionen gegen die Demonstranten brutaler.

Yangon, diese laute, dreckige, lebendige und so wunderschöne Metropole, die ich mein Zuhause nannte, gleicht nun einem Kriegsschauplatz. Straßen, die ich so selbstverständlich entlangschlenderte, die von kleinen Teestuben und Garküchen geziert wurden, sind nun Frontlinien zwischen Militär und den Demonstranten. Mein altes Viertel ein schwer umkämpftes Gebiet. Die mystischen, tropischen Nächte sind zum lebendigen Albtraum geworden.
Wer das erste Mal nach Myanmar reist, ist von der Freundlichkeit und Sanftmütigkeit der Burmesen berührt. Nun ist in ihren Herzen ein Feuer entflammt. Jenes der Demokratie. Denn Meinungsfreiheit, Parteienvielfalt, Wahlen – mühsam errungene Rechte – wurden in einer Nacht ausgelöscht. Doch das Militär hat die Rechnung ohne das eigene Volk gemacht. Diese Menschen werden nicht aufhören aufzustehen. Auch wenn es ein ungleicher Kampf ist, dem sie unbewaffnet und mit ungewöhnlichen Mitteln gegenüberstehen. Ob mit gespannten Wäscheleinen oder dem abendlichen Schlagen auf Töpfe und Pfannen. Das schon immer die bösen Geister vertreiben sollte.


„Alles wird o. k.“, stand auf dem T-Shirt, das Kyal Sin trug. Eine hoffnungsvolle Vision der neunzehnjährigen Demonstrantin, die gegen die Machtübernahme durch die Militärjunta in Mandalay, der zweitgrößten Stadt des Landes, demonstrierte. Einen Tag danach wurde sie beigesetzt. Nur eines der bisher mindestens 60 Todesopfer. Ihre Beerdigung wurde zu einem weiteren Symbol des Widerstands. „Kabar Makyay Bu“ – bis zum bitteren Ende“, sangen die Trauernden. Das Symbol ist eindeutig: Wir geben nicht auf, wir werden weiterprotestieren, wir werden nicht weichen. Und ich glaube es ihnen.