Ist es tatsächlich der Durchbruch? Der Planet unter dem pandemischen Damoklesschwert blickt hoffnungsvoll auf den Impfstoff-Kandidaten BNT162b2 und die Menschen dahinter: Das kongeniale, dem Mainzer Unternehmen Biontech vorstehende Forscherduo Ugur Sahin und Özlem Türeci ist auch privat miteinander verbunden. Bereits im Jänner, als Corona in Deutschland und im restlichen Europa noch kaum jemand am Radar hatte, legten sie los – ausgehend von sehr frühen Berichten über die Ausbreitung des Virus in China. Die beiden Mediziner und Forscher ahnten längst die Tragweite und verschrieben sich dem „Menschheitsprojekt“, wie Sahin es nennt. Anders gesagt: Ein wirksames Mittel gegen eine Infektion solle einmal gerecht der ganzen Welt zustehen und nicht nach politischem Dafürhalten (wie vor allem jenes des Noch-US-Präsidenten Donald Trump) vorab zugeteilt werden.

Projekt „Lightspeed“ erreichte Ende Juli die dritte Phase, in der in verschiedenen Ländern die entscheidende Studie zur Zulassung startete. 90-prozentigen Schutz soll der Impfstoff laut aktuellen Angaben bieten – das liegt weit über der Schwelle von 50 Prozent, die von Gesundheitsbehörden üblicherweise als für eine Zulassung notwendig erachtet wird. Und auch wenn Fragen offen sind (nicht zuletzt zur Logistik rund um Transport und Lagerung) bzw. das Vakzin noch nicht am Markt verfügbar ist, sind die Vorzeichen jedenfalls gut – das internationale Echo ist geradezu euphorisch.
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat ein Schritt-für-Schritt-Verfahren angeschoben, noch im November will man zusammen mit dem US-Partner Pfizer eine Notfallzulassung in den Vereinigten Staaten beantragen. Der Onkologe pocht dabei auf die „Einhaltung von „fundierten wissenschaftlichen Prinzipien“ und „höchsten ethischen Standards“ – trotz des unsagbaren Zeitdrucks, unter dem die Welt nun steht.

Zu helfen war der 53-jährigen Türeci schon als in Deutschland geborenes Kind eines Chirurgen eine Herzensangelegenheit: Als Mädchen wollte sie Nonne werden, Menschen helfen. Später war der Lebensentwurf ein anderer – ihre Mission blieb: „Geprägt durch meinen Vater, der als Arzt arbeitete, konnte ich mir keinen anderen Beruf vorstellen“, so Türeci. Die Deutsche entschied sich für ein Medizinstudium im saarländischen Homburg, das sie bravourös meisterte – dort begegnete sie auch ihrem späteren, heute 55-jährigen Mann.

Dieser war noch in der Türkei geboren worden und kam dann mit seinen Eltern wie so viele andere nach Deutschland. Beide gelten seit Langem als herausragende Experten im Bereich der Immuntherapie. Türeci hat zwar keine nennenswerten Anteile am Kapital, ist aber offiziell CMO von Biontech – was für „Chief Medical Officer“ und quasi die oberste Ärztin des Pharma-Unternehmens steht. Zudem fungiert sie als Privatdozentin in ihrem Fachgebiet. Ohne sie wäre die Erfolgsgeschichte rund um das Unternehmen, das sich bei seiner Gründung dem Kampf gegen die Geißel Krebs verschrieben hatte, unmöglich gewesen.

An der Goldgrube: Biontech
An der Goldgrube: Biontech © (c) imago images/Jan Huebner (Thomas Voelker via www.imago-images.de)

Der Fokus der beruflichen Tätigkeit der beiden war von Beginn an eng mit ihrer Ehe verknüpft, die Trennung zwischen „Life“ und „Work“ bald irrelevant: Für ihren Termin am Standesamt 2002 wurde laut eigener Aussage eine Pause vom täglichen Laborbetrieb hergenommen. Nach dem biopharmazeutischen Unternehmen Ganymed gründeten Sahin und Türeci 2008 Biontech, das jetzt eine/die mögliche Antwort auf diese Pandemie im Köcher hat. Der wissenschaftliche, auf Ausdauer und Fakten basierende Ansatz war gerade für die Entwicklung des Impfstoffes wichtig, wie Sahin festhält: „Wenn etwas nicht auf Anhieb funktionierte, haben wir versucht, zu verstehen, was passiert ist, was wir daraus lernen und wie wir das Problem lösen können. Das ist wohl die Art, wie wir Wissenschaftler mit Hürden umgehen“, umschreibt er lapidar den immer wieder auch rückschlagsreichen Forscheralltag.

Dass in der Pharmabranche viel, sehr viel Geld zu verdienen ist, ist wohlbekannt: Die Zeitung „Welt am Sonntag“ führte ahin und Türeci mit einem Vermögen von 2,4 Milliarden Euro auf Platz 93 der Liste der reichsten Deutschen. Der Börsenwert von Biontech schoss in eine Sphäre um die 26 Milliarden Euro. Reichtum dürfte ihr Antrieb trotz allen Unternehmertums nie gewesen sein. Kollegen beschreiben das Duo als sachlich-bescheiden, Sahin blieb das T-Shirt näher als der Vorstandshemdkragen. Vieles griff ineinander: 2018 wurde die Kooperation mit Pfizer geschlossen – eigentlich um gemeinsam an Grippeimpfstoffen zu forschen. Dann kam Corona über die Welt, und die Ressourcen des 1300-Mitarbeiter-Unternehmens wurden darauf ausgerichtet, Synergien mit dem potenten US-Partner genutzt.

Die deutsche Presse feiert Sahin und Türeci, sie sind Eltern einer 14-jährigen Tochter, derzeit auch als Paradebeispiel geglückter Integration. „Super-Migranten“ nennt sie der „Spiegel“. Kommentatoren verteilen aber auch Kritik an der offenbar weiter einzementierten Mentalität im Land: Warum sei die Verwunderung eigentlich noch immer so groß, dass zwei Menschen, die auf ihrem Feld einfach zu den Besten der Besten gehören, türkische Namen tragen und es abseits von Kebab-Buden so weit bringen? Nun injizieren sie, ja: Zuversicht.