Es ist nicht der erste Appell, der von 120 Ärzten und Psychologen gestern veröffentlicht wurde. Sie forderten ein Ende der „psychologischen Folter und medizinischen Vernachlässigung“ des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Er leide unter den Folgen des Aufenthalts in der ecuadorianischen Botschaft und im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, schrieben die Experten in einem Brief. Sollte der 48-Jährige in der Zelle sterben, dann sei er „effektiv zu Tode gefoltert worden“.


Auch Politiker, Juristen und Angehörige forderten am Dienstag eindringlich die Freilassung des Wikileaks-Gründers. Besonders laut wurden die Appelle durch ein Interview mit Nils Melzer, UN-Sonderbeauftragter für Folter, im Schweizer Magazin „Republik“. Dort entlastet er Assange und erhebt schwere Vorwürfe wegen dessen Verhaftung. „Vier demokratische Staaten schließen sich zusammen, USA, Ecuador, Schweden und Großbritannien, um mit ihrer geballten Macht aus einem Mann ein Monster zu machen, damit man ihn nachher auf dem Scheiterhaufen verbrennen kann.“ Melzer hatte seine Vorwürfe auch im ZDF geäußert: Dort spricht er von „einem modernen Hexenprozess“.

Assange sitzt derzeit im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh.Die USA haben Assanges Auslieferung beantragt. Die Anhörung dazu beginnt am Montag. Die Vereinigten Staaten werfen ihm vor, der US-Whistleblowerin Chelsea Manning geholfen zu haben, geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan zu veröffentlichen. Dadurch wurden von US-Soldaten begangene Kriegsverbrechen bekannt. Es liegen 18 Anklagepunkte vor. Bei einer Verurteilung drohen Assange bis zu 175 Jahre Haft.

Es handle sich um einen „Riesenskandal und die Bankrotterklärung der westlichen Rechtsstaatlichkeit“. Der Schweizer Rechtswissenschaftler Nils Melzer spricht im Interview von konstruierten Vergewaltigungsvorwürfen und manipulierten Beweisen. Angefangen habe alles mit einer mutmaßlichen Vergewaltigung. Da er fließend Schwedisch spreche, habe Melzer alle Originaldokumente lesen können. Nach Aussagen der betroffenen Frau selber habe es nie eine Vergewaltigung gegeben. Die Aussage dieser Frau wurde im Nachhinein ohne ihre Mitwirkung von der Stockholmer Polizei umgeschrieben, um irgendwie einen Vergewaltigungsverdacht herbeibiegen zu können, so Melzer. Und der Zeitpunkt sei nicht zufällig gewählt worden: Ende Juli 2010 habe Wikileaks in Zusammenarbeit mit der „New York Times“, dem „Guardian“ und dem „Spiegel“ das sogenannte „Afghan War Diary“ veröffentlicht. Die Briten, namentlich der Crown Prosecution Service, habe Schweden zugleich „unbedingt davon abhalten“ wollen, das Verfahren einzustellen.


Melzer kommt in seinem Bericht zum Schluss: „Er hat Folter enthüllt, er wurde selber gefoltert und jetzt ist Assange in einem Auslieferungsverfahren, wo er, wenn er in die USA ausgeliefert wird, Haftbedingungen ausgesetzt sein wird, die weltweit als unmenschlich betrachtet werden.“