Monatelang wurde die oberösterreichische Ärztin Lisa Maria Kellermayr Opfer von Hass und detaillierten Drohungen im Internet. Die Ärztin kritisierte mangelnde Unterstützung durch die Behörden und musste aus eigener Kasse rund 100.000 Euro an Sicherheitsmaßnahmen und Security-Mitarbeiter zahlen, bevor sie sich vorletzte Woche das Leben nahm.

Nach Bestürzung und Trauer folgte breite Kritik an den Ermittlungsbehörden, die nicht in der Lage waren, konkrete Drohungen gegen die Ärztin zu verfolgen. "Wir brauchen die Gewissheit, dass Hilfeschreie nicht verschallen", forderte etwa der Organisator des Gedenkens in Wien, Daniel Landau. Der frühere Chefredakteur des Online-Mediums "ZackZack" erstattete Anzeige gegen die oberösterreichischen Behörden.

Aus Sicht der Wiener Strafrechtsprogessorin Ingeborg Zerbes hätten die gegen Kellermayr gerichteten Drohungen im vergangenen Herbst ausreichen müssen, um im Inland ein Verfahren wegen beharrlicher Verfolgung nach § 107a StGB einzuleiten. "Indem die Frau Textnachrichten, die geeignet waren, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, in Österreich erhalten hat, ist der dafür erforderliche Zwischenerfolg – Kontaktherstellung nach § 107a Abs 2 Z 2 StGB – eingetreten", sagte Zerbes gegenüber der APA.

Justizministerium verteidigt Vorgehen

Für das Justizministerium war das Vorgehen der Staatsanwaltschaft (StA) Wels gedeckt, die erst seit vergangenem Donnerstag – sechs Tage nach dem Suizid Kellermayrs – wieder wegen gefährlicher Drohung mit Selbstmordfolge ermittelt. "Die beharrliche Verfolgung nach § 107a StGB (wie auch § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB) ist kein Erfolgsdelikt, sondern nach herrschender Meinung ein Tätigkeits- bzw. potenzielles Gefährdungsdelikt", teilte dazu nun das Justizministerium mit.

"Ähnlich wie bei der gefährlichen Drohung, die dem Opfer ebenfalls zugehen muss, begründet ein Herstellen eines Kontaktes im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines sonstigen Kommunikationsmittels zu einer im Inland befindlichen Person durch einen Täter im Ausland keinen Inlandstatort."

Die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) hatte als die der StA Wels übergeordnete Behörde dem Ministerium am 7. Juli einen Informationsbericht zum Ermittlungsstand im Verfahren gegen unbekannte Täter wegen gefährlicher Drohung zum Nachteil von Kellermayr vorgelegt. Darin wurde darauf verwiesen, dass das Strafverfahren gegen die – teilweise zwischenzeitlich ausgeforschten – mutmaßlich von Deutschland aus agierenden und in Deutschland aufhältigen Verdächtigen mangels inländischer Gerichtsbarkeit eingestellt wurde.

Wie das Justizministerium betont, habe die StA Wels zugleich die jeweils tatortzuständigen Anklagebehörden in Deutschland in Kenntnis gesetzt, "damit dort die Ermittlungen fortgesetzt werden können". Fazit: "Basierend auf den sich aus dem Bericht der StA Wels ergebenden Informationen konnte seitens der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Justiz kein Grund für ein fachaufsichtsbehördliches Einschreiten gefunden werden." Maßnahmen seitens der Fachaufsicht seien daher "nicht indiziert".

Zerbes weiter kritisch

Dass die StA Wels den § 107a StGB als reines Tätigkeitsdelikt angesehen und daher die österreichische Zuständigkeit ausgeschlossen hatte, stützte sich vor allem auf eine Stelle im sogenannten Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch (StGB), die auch von namhaften Juristen vertreten wird. Auch die Wiener Strafrechtsprofessorin Zerbes hat sich mit dieser Kommentarstelle auseinandergesetzt.

Sie überzeugt sie allerdings nicht, weil "die Herstellung des Kontaktes im Wege einer Telekommunikation – so der Wortlaut des Gesetzes – als (Zwischen-)erfolg angesehen werden müsse. Ein solcher reicht zur Begründung der Zuständigkeit", wie sie am Montag gegenüber der APA bekräftigte. Das gehe im Übrigen auch aus anderen Stellen des Wiener Kommentars hervor und wird auch im Salzburger Kommentar zum StGB vertreten. "Diese Quellen hat die Staatsanwaltschaft offenbar nicht herangezogen", meinte Zerbes.

Mittlerweile ermittelt die StA Wels jedenfalls wieder. Die Generalstaatsanwaltschaft München ließ indes vergangenen Freitag die Wohnung eines Tatverdächtigen durchsuchen. Der 59-Jährige aus dem Landkreis Starnberg soll Kellermayr unter anderem mit der Äußerung bedroht haben "(…) wir beobachten Sie, und, wir werden solche Kreaturen vor die in Zukunft einzurichtenden Volkstribunale bringen!"