Sie haben als Zeitrahmen Ihres Buches nicht 2015 gewählt, sondern 2003. Damals war die Lage von Flüchtlingen in Österreich noch nicht so dramatisch wie heute. Warum dieser Rückgriff?

Daniel Zipfel: Ich beschreibe in dem Buch eine historische Situation, die Parallelen hat zur Jetztzeit. Damals ist es kurz vor Etablierung der Grundversorgung zu Massen-Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen gekommen. Die Tatsache, dass es sich um eine abgeschlossene historische Situation handelt, macht es leichter, ihre Gründe näher zu beleuchten. Verschiedene Mechanismen sind aber gleich geblieben, auch eine gewisse Gleichgültigkeit im Umgang mit Asylsuchenden ist nach wie vor da.

Hat sich in den vergangenen Jahren die rechtliche Situation der Flüchtlinge verbessert?

Zipfel: Die rechtliche Situation ist durch die Grundversorgung besser als 2003. Allerdings ist das Fremdenrecht, wie es sich jetzt präsentiert, ein Ausdruck staatlicher Überforderung. Es kommt mittlerweile halbjährlich zu Novellierungen, und nur noch Personen, die sich täglich damit befassen, haben wirklich eine Chance sich auszukennen. Der Polizist auf der Straße und der Betroffene bleiben dabei auf der Strecke, weil die Regelungen dermaßen unübersichtlich geworden sind.

Was war die Initialzündung für Ihren Roman - eine literarische Idee oder der aufklärerische Impetus, auf politische Missstände aufmerksam zu machen?

Zipfel: Ich arbeite seit acht Jahren bei einer großen NGO in der Asylrechtsberatung. In dieser Zeit haben sich viele Geschichten und Schicksale angesammelt. Der Auslöser war ein literarisches Bedürfnis. Ich wollte keine politische Agenda vermitteln. Das würde ich als Vereinfachung empfinden, auch als eine Form des Kitsches. Im Gegenteil ist es mir ja darum gegangen, die Geschichte und die Figuren differenziert zu gestalten - um eben nicht in die Vereinfachung zu verfallen, in die man bei diesem Thema leicht hineingerät. Zuerst war die Figur des Schleppers Nejat da, die war mir aber noch zu wenig greifbar, zu exotisch, daher habe ich eine Figur gebraucht, die mir näher ist und einen Gegenpol darstellt. So bin ich auf den Fremdenpolizisten Blum gekommen, weil ich ja auch viel mit Beamten zu tun haben.

Wie viel von Ihnen steckt in dieser Figur?

Zipfel: Blum ist als Beamter in einer anderen Situation als ich. Er hat zwar auch den Anspruch, Menschen zu helfen, muss aber Gesetze durchsetzen und Menschen abschieben und löst damit menschliche Tragödien aus. Blum ist keine autobiografische Figur. Er ist ein Streber, der an die Grenze des gesetzlichen Rahmens gerät.

Leistet die Mehrheit der Beamten im Fremdenrechtsbereich Ihrer Ansicht nach gute Arbeit?

Zipfel: Vor rund einen Jahr wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) geschaffen, das mehrere Behörden in sich vereint - das Asylamt, die Fremdenpolizei und auch teilweise Aufgaben der Niederlassungsbehörden. Das führt dazu, dass die Beamten dort mit einer Masse an Zuständigkeiten konfrontiert sind und sich in einem irrsinnig komplexen System zurechtfinden müssen. Da lädt man zu viel auf die einzelnen Beamten ab, der zudem oft keine juristische Ausbildung haben.

Ihre andere Hauptfigur ist ein Schlepper. Das sind nach der öffentlichen Meinung Verbrecher, die sich am Elend der anderen bereichern und Menschen auch bedenkenlos in den Tod schicken. Was ist Ihre Erfahrung?

Zipfel: Unter den Schleppern gibt es durchaus einige mit idealistischem Zugang. Ich finde den Schlepper eine extrem interessante literarische Figur. Der Schlepper ist ein literarischer Archetypus, Er ist ein Januskopf, jemand, der Leute ins Verderben schickt, aber gleichzeitig auch Menschen aus einer Gefahr rettet. Dieser Widerspruch macht ihn interessant. Mit Blum verbindet ihn der Wunsch, alles richtig machen zu wollen. Das ist auch ein Thema des Buches: Alle wollen alles richtig machen - und trotzdem kommt es zu Tragödien.

Was wären in der jetzigen Situation im Flüchtlingsbereich die dringlichsten Maßnahmen?

Zipfel: Zu allererst müsste man in den Diskurs mehr Sachlichkeit bringen. Es gibt für alle Probleme Sachlösungen, die aber liegen bleiben und nicht implementiert werden. Das hängt damit zusammen, dass jahrelang von der Politik ein Narrativ der Bedrohung geschaffen wurde. Es wurde von Invasion geredet und von Überschwemmung. Es wurde vermittelt, man stehe vor einem unlösbaren Problem - um Verunsicherung und Angst zu schaffen und politisches Kleingeld zu schlagen. Das Phänomen der Flucht in einer globalisierten Welt ist neu. Man kann nicht den Kopf in den Sand stecken und der Situation mit völlig veralteten Instrumenten begegnen. Man muss daher jetzt angepasste Lösungen finden. Die Bezirksquotenregelung wäre auf jeden Fall sinnvoll. Auch ein gesamteuropäisches System wäre eine unbedingte Notwendigkeit, mit Quoten, einem gemeinsamen Verfahren und europäischen Aufenthaltstiteln. Und eine Infragestellung des Dublin-Systems wäre längst überfällig.