In wenigen Tagen nimmt die belgische Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig für ihr Lebenswerk entgegen. Erst im Februar wurde sie mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet.

Die Fülle an Respektbekundungen ist nachvollziehbar, hat doch De Keersmaeker und ihre Kompanie „Rosas“ mit mehr als 50 Choreografien wie kaum eine andere den zeitgenössischen Tanz seit den 1980ern geprägt. Einen Einblick in ihr glänzendes Schaffen bietet „Fase – Four Movements to the Music of Steve Reich“, einem Klassiker aus 1982, der am 27. Juni im Teatro alla Tese zur Aufführung kommt.

Festakt und Aufführung sind das Herzstück der diesjährigen Tanzbiennale. Im Gegensatz zum letztjährigen üppigen Gastspielreigen setzt der künstlerische Direktor Virgilio Sieni heuer auf eine „kleine Edition“ aus Weiterbildung und Showings. Unter dem Titel „Biennale College“ arbeiten acht Choreografinnen und elf Choreografen, darunter Persönlichkeiten wie Boris Charmatz, Xavier Le Roy und Claudia Castellucci, zehn Tage mit über 70 Tänzerinnen und Tänzern. Die Ergebnisse der Intensivworkshops werden zwischen 26. und 28. Juni auf öffentlichen Plätzen und in den Theaterräumen des Arsenale präsentiert.

Austausch mit Publikum

Virgilio Sieni, zum dritten Mal für die Tanz-Biennale verantwortlich, sieht die Lagunen-Stadt mit ihren pittoresken Kanälen, Plätzen, Palästen und Brücken als Metapher für ein kollektives Erbe, das eine sinnerfüllte Zukunft birgt, wenn es mit Weitblick gepflegt wird. „Über die Architektur des Körpers und die Landschaft aus menschlichen Gesten suche ich den unmittelbaren Austausch mit dem Publikum auf der Straße“, so Sieni im Interview. Zwei Drittel der 44 Showings passieren inmitten der Touristenströme und Alltagsgeschäfte. So übersetzt etwa die italienische Nachwuchschoreografin Annamaria Ajmone in „Bũan“ das Geschehen am Ufer des Squero San Trovaso, wo Handwerker ramponierte Gondeln aufmöbeln, als temporären Werkstattmodus in ihren Körper.

Seit Sieni die Leitung der Tanzbiennale übernahm, erhöhte sich der Anteil italienischer Kunstschaffender. Mit dieser Einbindung unterstützt er die finanziell ausgezehrte heimische Tanzlandschaft. Neben Professionellen inkludiert der „Humanist mit ganzheitlichem Blick“ wieder Tanzinteressierte, Kinder, Jugendliche, Ältere und Menschen mit Beeinträchtigungen in sein Programm, um Reichweite, Wirkung und Verständnis von zeitgenössischem Tanz zu steigern.

INGRID TÜRK-CHLAPEK