Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einer Zunahme der Corona-Todesfälle in Europa im Oktober und November. Derzeit sind diese noch relativ stabil. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) bleibt vorerst bei ihrer Konjunktureinschätzung: Die heimische Wirtschaft dürfte 2020 um 6,8 Prozent schrumpfen. Darin eingepreist ist eine zweite Infektionswelle, nicht jedoch ein weiterer Lockdown.

Dieser würde Österreich in eine noch tiefere Rezession stürzen als von den Wirtschaftsforschern bis dato prognostiziert. Dafür genügte auch ein Stillstand der Wirtschaft in einem der wichtigsten Lieferländer oder Exportmärkte wie etwa Deutschland oder Italien. "Da hätte auch unsere Exportwirtschaft schwere Probleme, auch wenn es bei uns keinen Lockdown gäbe", sagte Wifo-Konjunkturexperte Josef Baumgartner im Gespräch mit der APA.

Im Juni hatte das Wifo für das heurige Gesamtjahr noch mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 7 Prozent gerechnet, im August dann mit einer ganz leichten Abmilderung auf minus 6,8 Prozent - "tendenziell eine Andeutung, dass sich die aktuelle Entwicklung in den Sommermonaten etwas günstiger dargestellt hat, als wir das Ende Mai, Anfang Juni eingeschätzt hatten", so Baumgartner. "Im Prinzip ist dieses Bild nach wie vor gültig."

Die große Unbekannte ...

Die große Unbekannte sei natürlich, wie sich die epidemiologische Situation weiter entwickle. "In einigen Ländern ist es doch zu einer deutlichen Ausweitung gekommen, zum Beispiel in Spanien", vermerkte der Konjunkturforscher. Wenn sich das zu einem internationalen Trend entwickle, habe das auch auf die wirtschaftliche Entwicklung Auswirkungen. "In unserem 'Basesline-Szenario' gehen wir davon aus, dass es zu einer Zunahme der Infektionszahlen kommt", erklärte Baumgartner. Für den Herbst seien angesichts des Schulbeginns und der Rückkehr der Urlauber steigende Fallzahlen bereits erwartet worden. Anfang Oktober werden die Wirtschaftsforscher des Wifo und des Instituts für Höhere Studien (IHS) ihre aktualisierten Konjunkturprognosen präsentieren.

Je mehr getestet werde, umso mehr positive Ergebnisse würden auch gefunden. Doch selbst bereinigt um die verstärkten Corona-Testungen zeige sich jetzt schon ein Anstieg der Infektionszahlen. "So gesehen hätten wir eine zweite Welle." Anfang März bis etwa Mitte April hatte es eine starke Zunahme gegeben, dann gingen die Zahlen kontinuierlich zurück. Doch im Laufe des Sommers "mit der Rückkehr aus den Urlaubsgebieten, mehr Nachlässigkeit und mehr privaten Partys" hätten sich die Infektionen wieder erhöht. "Was nicht zugenommen hat, ist die Zahl der Hospitalisierungen und der Sterbefälle", betonte der Wifo-Experte. Erstere seien sogar "deutlich weniger stark angestiegen als das noch im März der Fall war". "Man hat gelernt, mit der Epidemie ein bisschen umzugehen."

"Unsicherheit nimmt wieder zu"

"Was wir in unseren Basis-Szenario nicht erwarten, ist, dass es zu einem weiteren Lockdown kommt; dass es zu gewissen wirtschaftlichen Behinderungen kommt, das schon", erläuterte Baumgartner. So werde sich die seit Anfang dieser Woche geltende Ausweitung der Maskenpflicht vom Lebensmittelhandel auf sämtliche Geschäfte "auf den Konsum auswirken". "Die Einkaufsfreude wird dadurch nicht angeregt." Und durch steigende Fallzahlen wird sich seiner Einschätzung nach auch "die Lust in die Gastro zu gehen" verringern.

"Insgesamt nimmt die Unsicherheit wieder zu und das dämpft die Ausgabenbereitschaft im Bereich Handel und bei nicht lebensnotwendigen Gütern", hielt der Konjunkturforscher fest.

Gegenüber anderen Krisen habe sich das Konsumverhalten der Österreicher in der Coronakrise komplett verändert. In der Vergangenheit sei der Konsum eine stabile Größe gewesen - die Haushalte versuchten, ihre Ersparnisse zu reduzieren und ihre Konsumausgaben weniger einzuschränken. Anders in diesem Jahr: "Sehr auffällig ist, dass die Konsumbereitschaft insgesamt abgenommen hat", stellte Baumgartner fest. In der heuer im Frühjahr behördlich verfügten Lockdown-Phase wurde der Konsum noch verhindert, doch auch nach der weitgehenden Aufhebung der Einschränkungen sei er "nicht in diesem Maße wieder angesprungen". Insgesamt sei der Konsum sogar "deutlich stärker zurückgegangen als die verfügbaren Haushaltseinkommen" angesichts Kurzarbeit bzw. Arbeitslosigkeit, meinte der Ökonom mit Blick auf die Nettoersatzrate von 70 bis 90 Prozent bei Kurzarbeit und von 55 Prozent bei Arbeitslosigkeit.

In einer typischen Krisensituation würden Ersparnisse aufgelöst. "Die Sparquote ist diesmal aber deutlich angestiegen - die Haushalte sind einfach vorsichtig, manche Ausgaben tätigen sie nach wie vor nicht." So sei etwa der Modehandel "sehr stark eingebrochen". Die Umsatzverluste im Lockdown wurden hier bisher "wegen der Ausgabenzurückhaltung weit nicht aufgefangen". Es herrsche insgesamt große Unsicherheit. "Was nicht unbedingt notwendig ist, wurde aufgeschoben oder überhaupt nicht getätigt, sagte Baumgartner und verwies dabei unter anderem auf die Anschaffung von Möbeln und Autos.

Gespart wurde auch im Urlaub. Die Österreicher seien zwar heuer im Sommer deutlich mehr im eigenen Land geblieben, hätten dabei aber insgesamt weniger ausgegeben. Gleichzeitig blieben die ausländischen Gäste weitgehend aus, vor allem im Städtetourismus - in Wien und Salzburg fehlten die Touristen aus Übersee "eigentlich zur Gänze".

Gastronomie und Hotellerie bleiben den Wirtschaftsforschern zufolge heuer voraussichtlich um etwa 35 Prozent unter den Vorjahreswerten. In den Sonderbereichen Nachtgastronomie, die nach wie vor tot ist, und Stadthotellerie, die unter einer extrem niedrigen Auslastung leidet - in Wien liegt sie um die 20 Prozent - sieht es freilich noch bei weitem düsterer aus.

"Das wird wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten gewisse Auswirkungen auf die Arbeitslosenzahlen zeigen", erwartet Baumgartner. "Einige Betriebe haben bereits angekündigt, dass sie für den Herbst keine Erholung erwarten und daher viele Mitarbeiter nach dem Auslaufen der jetzigen Kurzarbeitsphase kündigen und den Betrieb zumindest für eine kurze Zeit stilllegen werden." Diesen Dienstag haben beispielsweise die Sacher-Hotels bekanntgegeben, sich von 140 Arbeitnehmern zu trennen und den Rest der Belegschaft auf Kurzarbeit zu schicken.

"Wirtschaftlich noch keine zweite Welle" 

IHS-Chef Martin Kocher rechnet trotz steigender Infektionen vorerst nicht mit dem weiteren Einbruch der Wirtschaft wegen der Coronakrise. "Im Moment sehen wir wirtschaftlich nichts von einer zweiten Welle", so Kocher im APA-Interview. Zur Entlastung des Arbeitsmarkts empfiehlt er, Schulabgänger länger in Ausbildung zu halten. Und trotz Krise sollte die Regierung den Pfad zu einer CO2-Steuer vorlegen.

Mit dem wegen der Corona-Pandemie verhängen Lockdown ist die Wirtschaft massiv eingebrochen. Von Mitte März bis Mitte April registrierte die Nationalbank einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um bis zu ein Viertel. Bis zum Sommer hat sich die Situation dann zwar wieder entspannt. Seit August deuten die Zahlen nun allerdings wieder auf eine Verlangsamung der Erholung hin.

Den in den Zahlen der Nationalbank seit August zu beobachtenden Knick würde Kocher allerdings nicht überbewerten. Entscheidend wird aus Sicht des Wirtschaftsforschers sein, ob die wieder steigenden Infektionszahlen für negative Stimmung sorgen. Auch Einschränkungen bei Gastronomie, Hotellerie oder Schulschließungen wären ein gewisser wirtschaftlicher Rückschlag, meint Kocher: "Man kann nicht gleichzeitig arbeiten und die Kinder beaufsichtigen."

Effizienteres Nachfolgeprojekt für Aktion 20.000

Für das kommende Budget empfiehlt Kocher, der neben seiner Funktion im Institut für Höhere Studien (IHS) auch Chef des Fiskalrates ist, einen Schwerpunkt auf aktive Arbeitsmarktpolitik. Als Beispiel nennt er etwa ein Nachfolgeprojekt für die unter Türkis-Blau gestoppte "Aktion 20.000" - allerdings "mit etwas anderen Vorgaben und effizienter als die Aktion 20.000".

Maßnahmen hält der Wirtschaftsforscher auch im Bereich Lehrlingsausbildung und Qualifikation für nötig. Außerdem sollte die Politik versuchen, die "Abschlusskohorte" - also die aktuellen Schulabgänger - im Bildungsbereich zu halten. "Man müsste versuchen, den Andrang am Arbeitsmarkt etwas zu entzerren." Beispielsweise könnten Pflichtschulabsolventen für ein Jahr an berufsbildende Schulen wie HTL, HBLA und HAK wechseln: "Im Idealfall bleiben die Leute sogar länger in der Ausbildung." Maturanten könnten verstärkt an Unis und Fachhochschulen gehen, anstatt gleich Jobs zu suchen.

Für CO2-Steuer mit Übergangszeit

In der Klimapolitik plädiert Kocher angesichts der Krise zwar nicht für eine rasche Einführung, aber doch für einen konkreten Fahrplan zu einer CO2-Steuer. "Man müsste einen Preispfad festlegen und ohnehin eine Übergangsfrist von ein bis zwei Jahren haben, bis das startet", meint der IHS-Chef. Ohne eine solche Maßnahme werde man nicht auskommen, denn ein nationaler Emissionshandel sei nicht praktikabel. "Letztendlich wird es teurer sein müssen, zu transportieren oder Auto zu fahren."

"Relativ wenig Sorgen" machen dem Chef des Fiskalrats, der die Einhaltung der EU-Budgetregeln überwacht, die in der Coronakrise steigenden Staatsschulden: "Wir kommen auf einen Schuldenstand, der ungefähr dem entspricht, was wir nach der Finanzkrise hatten. Wenn wir zum Beispiel 2023 wieder maastrichtkonform wären, dann hätten wir einen einigermaßen nachhaltigen Budgetpfad." Die Regierung sollte aus seiner Sicht in zwei Szenarien denken: Sollte Anfang nächsten Jahres eine Corona-Impfung zur Verfügung stehen, werde man die Wirtschaft gut über Wasser halten können und eine große Pleitewelle verhindern können. Sollte sich die Pandemie noch über zwei, drei Jahre hinziehen, dann werde es schwieriger und die Regierung werde ihre Maßnahmen anpassen müssen.