Angesichts großer Inflationsrisiken könnte die Europäische Zentralbank (EZB) laut Ratsmitglied Martins Kazaks ihre Zinsen schon im Juli anheben. "Eine Zinserhöhung im Juli ist möglich", sagt Kazaks, der die lettische Zentralbank leitet, am Mittwoch. An den Finanzmärkten wird erwartet, dass die EZB den Einlagensatz, zu dem Banken Geld bei der Europäischen Zentralbank parken können, heuer auf null anheben könnte.

Kazaks bestätigt diese Erwartungen. "Ich habe keinen Grund, mit den Markterwartungen für die zweite Jahreshälfte nicht einverstanden zu sein." EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte zuletzt die abwartende Haltung der Notenbank bestätigt.

Auch der Deutsche-Bundesbank-Präsident Joachim Nagel rechnet damit, dass die EZB angesichts der hohen Inflation ihre Zinsen schon im Sommer anheben könnte.

Die erste Zinserhöhung der EZB in der Pandemie erwarten Experten bisher für den Herbst. Zuletzt sind die Zinserhöhungserwartungen gestiegen. Schließlich ist die Inflationsrate im März mit 7,5 Prozent auf den höchsten Stand seit der Euro-Einführung gestiegen. Die EZB peilt auf mittlere Frist zwei Prozent an. Derzeit liegt der Einlagensatz bei minus 0,5 Prozent. Banken müssen also eine Art Gebühr zahlen.

Rede ist von "graduellem" Ausstieg

Lagarde hatte zuletzt davon gesprochen, dass die EZB "graduell" aus der lockeren Geldpolitik aussteigen werde. "Graduell heißt nicht langsam", sagte Kazaks. Es bedeute, dass man prüfe, ob die ergriffenen politischen Maßnahmen angemessen seien. Die Anleihekäufe zur Stützung der Konjunktur könnten zu Beginn des dritten Quartals beendet werden, da es keine Verspannungen an den Finanzmärkten gebe. Eine Entscheidung, ob diese im Juni endeten, hänge von den künftigen Konjunkturdaten ab.

Für die wirtschaftliche Entwicklung sehe er viele Risiken. Kazaks verwies auf den Krieg in der Ukraine, gestörte Lieferketten und Belastungen in der Pandemie. Es bestehe die Gefahr eines schwächeren Wachstums und einer höheren Inflation. Das Risiko einer technischen Rezession sei da. Von einer technischen Rezession spricht man, wenn die Wirtschaft zwei Quartale in Folge schrumpft. Die US-Notenbank hat wegen der hohen Inflation unterdessen die Zinswende bereits vollzogen und weitere Erhöhungen signalisiert.