Long Covid – ein Schlagwort macht die Runde. Es steht für Spätfolgen dieser Infektion und dafür, dass man die Wirkungen des Virus nicht einfach abhaken kann. Das ist allerdings nicht nur ein klinischer, sondern auch ein gesellschaftlicher und politischer Befund. Es sind Schwachstellen aufgetreten, die man nicht mehr übergehen kann. Bildung ist einmal mehr in das Zentrum einer besorgten Betrachtung gerückt.

Der Wirtschaftsstandort und die Basis an Arbeit, die er bietet, wurden erschüttert. Land und Bund haben riesige Schuldenberge aufgetürmt. Das Selbstverständnis von Freiraum und Offenheit ist leck geschlagen. Das Vertrauen in Politik und Verwaltung hat Risse bekommen. Das „DenkWERK“ Steiermark hat vor zwei Jahren 4 Eckpfeiler definiert, zu denen es dringend neue Ansätze geben müsste: Demokratie, Standort, Bildung und Arbeit, alles im Rahmen einer intakten Umwelt. Wir sind aufgerufen, uns dazu Fragen zu stellen.

Eine drängende Frage betrifft den inneren Kern unseres Staatswesens. Warum schafft es unser föderales System nicht, in Notzeiten klar, abgestimmt und effektiv Wirkung zu erzielen? Dabei geht es nicht nur um Bund und Länderangelegenheiten.

Das Problem setzt sich in der Beziehung zwischen Land, Bezirken und Gemeinden weiter fort. Partikularismen, (In-)Kompetenzgerangel und zu kleine, ineffiziente Strukturen schlucken zu viele PS. Die Steiermark sollte hier besondere Gewissenserforschung betreiben: weshalb kann es sein, dass man bei zentralen Daten wie Todesfällen, Impffortschritt und Testungen so schwächelt? Haben wir lediglich die Statistik nicht im Griff?

Apropos klares und zielgerichtetes Handeln. Hier ist in Bund und Land dringend noch eine Frage zu klären: Weshalb entfalten öffentlich-rechtliche und andere Interessengruppen eine solche Macht, dass sie jegliche politische Linie geradezu grotesk steuern oder behindern können?

Zeichen von Undankbarkeit?

Eine zweite wesentliche Themengruppe betrifft das Verhältnis Privat und Öffentlichkeit. Weshalb erreichen die Zentrifugalkräfte in unserer Gesellschaft immer mehr Wirkung, während Zusammenhalt und Vertrauen erodieren? Wo positionieren sich heute politische Parteien im Wechselspiel zwischen Partei- und Staatsräson?

Können wir es uns angesichts der aufgetretenen Schwächen übrigens weiterhin leisten, dass Menschen mit langjähriger beruflicher Fach- und Managementerfahrung im Insidersystem Politik kaum überleben können? Wenn es um Managementkompetenz und Strategiefähigkeit (im Sinne der Lösung komplexer Sachprobleme und nicht jene des politischen Machterhalts) geht, ist derzeit das Ende der Fahnenstange bald erreicht. Ist übrigens die Enttäuschung der Menschen, die sie in Umfragen gegenüber Politik und Verwaltung immer häufiger äußern, ein Zeichen von Undankbarkeit oder ein Zeichen, dass eine Verbindungsleine zwischen Staat und Bürgern verloren gegangen ist, die dringend wieder aufgenommen werden müsste? Ist es in diesem Zusammenhang gut für die Demokratie, dass kritische Positionierung im Rahmen von zweifelhaften Demonstrationen stattfindet, während sich kritische Geister kaum noch in den öffentlichen Diskurs einbringen (was Landeshauptmann Schützenhöfer zuletzt ja beklagt hat)?

Reicht es, zur Tagesordnung überzugehen?

Kaum ein Thema wurde über Jahre so eingehend diskutiert, wie die Bedeutung der Bildung für eine moderne Gesellschaft. In der Hochzeit pandemischer Beschränkungen hatte man aber das Gefühl, dass die Betreuungsfunktion der Schule eine weit zentralere Rolle eingenommen hat als die Bildungsfunktion. Der Wille, ein wenig mehr Risiko zugunsten eines besseren Bildungsfortschritts zu gehen, sank diametral zur Fähigkeit der Schutzbefohlenen, auf sich selbst aufzupassen. Reicht es, angesichts eines faktischen einjährigen Notprogramms nunmehr zur Tagesordnung überzugehen, worunter insbesondere Kinder von bildungsfernen Familien massiv leiden werden?

Fragen müssen sich übrigens auch Medien stellen. Ist die neue Dominanz der Echoräume sozialer Medien nicht auch ein Vertrauensverlust oder ein Abwehrverhalten gegen pädagogisch-aktivistische Bevormundung? Treibt in einer Pandemie die mediale Suche nach dem Superlativ und der Katastrophe die Menschen nicht in einen Ausnahmezustand? Mit anderen Worten, wird die Gefahr nicht gesehen, dass das Bild der Medien als tragende Kraft in einer offenen Demokratie zu schwanken beginnt?

„Koste es, was es wolle!“ - das richtet auch Flurschäden an

„Koste es, was es wolle!“ – mehr als ein Jahr offene Schleusen, das richtet auch Flurschäden an. Da stellen sich zwei ganz wesentliche Fragen: Erstens die nach der geordneten Rückführung der ausgeuferten Budgets, natürlich auch auf Landesebene. Die Gefahr langfristiger ökonomischer Verwerfungen ist latent. Die andere betrifft die grassierende Vollkaskomentalität. Individuelle Verantwortung wird immer stärker an Staat und Gesellschaft übertragen bei gleichzeitiger Verteidigung diverser Gruppenegoismen und Ablehnung von Pflichten gegenüber der Gemeinschaft. Werden wir die Belastungen nach Covid mit diesem Mörtel tragen können? Verbleibt noch die zentrale Frage, wie Umwelt und eine neue Regionalität der Wirtschaft mit der Aufrechterhaltung unseres Wohlstands verbunden werden können. Wird eine neue Konzentration auf das Lokale bei Produkten und Dienstleistungen in Balance mit unseren bisherigen Erfolgsfaktoren zu bringen sein? Wie werden wir mehr lokalen Tourismus fördern können, ohne dass es zu erweiterten Konflikten zwischen „Ansässigen“ und „Invasoren“ kommt?

Sind wir uns im Klaren, was die anstehenden Investitionen im Rahmen des Umbaus unseres Energiesystems tatsächlich bedeuten werden? Wir fabulieren über Grünsein und Autarkie in zwanzig Jahren und es gibt keine ernsthafte Diskussion, wie Quadratkilometer PV-Anlagen, Tausende Windräder, die Fassung auch letzter Bäche für die Energiegewinnung und das Legen der notwendigen Leitungen mit unseren Vorstellungen eines intakten Naturraums in Einklang gebracht werden können? Wie werden wir unseren bisherigen steirischen Wohlstandsgaranten, die Industrie, hier mitnehmen können, ohne deren Basis zu ruinieren? Und wie werden wir das alles finanzieren?

Für alle diese Fragen gibt es unterschiedliche Szenarien, von einem neuen Boom bis zum Crash. Es werden sich die Dinge massiv ändern und wer nicht bereit ist, in so einer Zeit heilige Kühe zur Schlachtbank zu führen, hat verloren. Was wir für einen Neustart jetzt brauchen, sind positive Visionen und Mut und vor allem die Enttabuisierung in der Diskussion. Ein Anstoß wäre einmal gesetzt.

*Der Wirtschaftshistoriker Thomas Krautzer, der Industrielle Jochen Pildner-Steinburg sowie der frühere Landeshauptmann Franz Voves bilden den Vorstand des Vereins „DenkWERK“ Steiermark und haben diesen Gastkommentar im Namen aller Vereinsmitglieder verfasst.