Noch vor einem Jahr dominierte die Sorge vor Gasengpässen die Diskussion. Die Energiepreise sind seither zwar gesunken, stehen aber nach wie vor auf hohem Niveau. Wie präsentiert sich die Lage aus Sicht der steirischen Industrie derzeit?
STEFAN STOLITZKA: Die Preise sind, insbesondere im Vergleich zur Situation vor dem Krieg in der Ukraine, nach wie vor hoch. Die Versorgungssicherheit ist auch heute bei weitem nicht in dem Maße gewährleistet, wie man das früher gewohnt war.

Welche Folgen könnte die Lage im Nahen Osten auf die Energiepreise und auch die ohnehin kriselnde globale Konjunktur haben?
Wir stehen am Anfang, aber ich sehe die Situation als hochexplosiv an. Das kann sich wirklich ausweiten. Wenn Länder wie der Iran einschreiten würden oder arabische Länder Ölembargos in Erwägung ziehen – das würde sich auswirken und kann auch gravierendere, globale Folgen haben. Die Energiepreise wurden kurzfristig und unmittelbar bereits davon beeinflusst.

Österreich steckt gesamtwirtschaftlich in der Rezession, die Industrieproduktion schrumpft schon länger. Ist zumindest die Talsohle bereits durchschritten?
Man muss leider sagen, dass wir die Talsohle noch nicht erreicht haben. Bevor es besser werden kann, wird es also wohl noch schlechter werden. Das zeigen auch unsere jüngsten Umfragen. Der Index des Geschäftsverlaufs ist seit von 31 auf nur noch drei gefallen – das sind Werte, die wir zu Beginn der Pandemie, also einer Phase maximaler Unsicherheit im Frühjahr 2020, hatten.

Wann könnte eine Trendwende für die steirische Industrie realistisch werden?
Der Ausblick für das nächste halbe Jahr fällt noch nicht sehr positiv aus. Ich glaube, wir können erst im Laufe des Jahres 2024 mit Lichtblicken rechnen.

Was wiegt hier am schwersten – ist es vor allem die noch hartnäckigere Rezession unseres wichtigsten Handelspartners Deutschland?
Das ist eindeutig ein sehr großer Faktor. Deutschland ist für uns ja auch das mit Abstand wichtigste Exportland, in vielen Fällen sind wir hier auch Vorproduzenten für Produkte, die in Deutschland finalisiert werden, oder auch in China. Es gibt aber auch in China sehr schlechte Wirtschaftsparameter, das wirkt sich auch bei uns aus. Und auch die USA sind in einer stagnierenden Situation. Das wäre weltwirtschaftlich der größte Hebel: Wenn es in Amerika ein Prozent Wirtschaftswachstum gibt, dann wirkt sich das auf die Weltwirtschaft mit 0,25 Prozent aus.

Ist ein verstärkter Mitarbeiterabbau in steirischen Industriebetrieben zu befürchten?
Wir sehen bei der Beschäftigungszahl momentan einen leichten Rückgang – auch bei offenen Stellen. Ich rechne aber nicht mit dramatischen Kündigungswellen in der Industrie.

Wird derzeit noch investiert?
Es steht bei Weitem nicht alles auf hold, es gibt bei einzelnen Unternehmen teils auch umfangreiche Investitionen. Aber vielfach wird auch abgewartet. Aber es gibt auch unerfreuliche Entwicklungen, dass einige Investitionen auch in andere Länder verschoben worden sind und nicht hier am Standort stattfinden. Hier müssen wir wirklich alles unternehmen, um wieder wettbewerbsfähiger zu sein.

Für die stark exportorientierten Industrieunternehmen ist die globale Konjunkturentwicklung entscheidend, um aus der Rezession zu kommen – aber gibt es auch im Inland standortpolitische Themen, die angegangen werden müssten, um die erhofften Lichtblicke 2024 tatsächlich sichtbar zu machen?
Wir müssen es natürlich immer in einem globalen Kontext sehen, aber gerade deshalb ist für den Standort selbst das Thema Wettbewerbsfähigkeit so entscheidend. Hier gibt’s wesentliche Belastungsfaktoren, wie eben die Energiepreise, wo Österreich – selbst im Vergleich zu Deutschland – in einer ungünstigen Situation ist. Das große Feld der Fachkräfte spielt ebenfalls eine Rolle, hier wäre eine Willkommenskultur für den qualifizierten Zuzug wichtig und nicht politisch gesteuerte Parolen wie die ‘Festung Österreich’. Bei der Rot-weiß-rot-Card gibt es nach wie vor zu große bürokratische Hürden. Und auch ein Blick auf die Entwicklung der Lohnstückkosten zeigt, dass die uns wirklich davon laufen. Das sind Wettbewerbsfaktoren, die wir am Standort regeln können – und das ist auch absolut notwendig. Denn die kommen auch deshalb mit einer solchen Wucht daher, weil wir gleichzeitig damit konfrontiert sind, in einer Form, die wir so noch nie erfahren haben.

Wo sehen Sie bei den Energiekosten einen Hebel, den man im Inland betätigen könnte?
Was sofort gelöst werden muss, ist das Thema der Strompreiskompensation. Energieintensive Betriebe, die da betroffen sind und im Zertifikatehandel sind und auch die Energieversorger, die bezahlen für die CO₂-Bepreisung praktisch doppelt. Um das zu lösen, gibt es von der EU die Möglichkeit der Strompreiskompensation – 15 Länder haben das bis 2030 fixiert.

Und Österreich?
Österreich hat das leider nur für ein Jahr festgelegt. Das ist ein enormer Wettbewerbsnachteil – und führt ebenfalls zu einer Nicht-Planbarkeit und wirkt sich auf Investitionsentscheidungen negativ aus. Die Strompreiszonentrennung führt zudem dazu, dass wir in Österreich im Schnitt bei den Strompreisen immer 30 Euro je Megawattstunde höher liegen als in Deutschland. Ein weiterer Faktor: Wir sind als Industrie absolut für den Ausbau Erneuerbarer Energie, aber mit dieser Verfahrensgeschwindigkeit kommen wir nicht weiter. Das muss einfach viel, viel rascher gehen.

Was erwarten Sie seitens der Industrie von der Bundesregierung im Finale der Legislaturperiode?
Eine Fachkräftestrategie und einen konkreten Weg rund um den European Chips Act.

Der Chips Act ist für die Steiermark als Mikroelektronik-Hotspot von besonderer Bedeutung. Wo braucht es hier noch Klarheit?
Rund um die Forschungsförderung, die der ganz entscheidende erste Teil ist und entsprechend dotiert werden muss, um in die Umsetzung zu kommen, gab es noch offene Fragen. Es braucht einfach einen konkreten Weg, wie das alles passieren soll, darauf warten die Unternehmen, um Investitionen entsprechend setzen zu können. Es ist auch ganz wichtig, das Mikroelektronik-Programm IPCEI als Basis für den Chips Act zu verstehen und auch hier ein entsprechendes Budgetsignal zu senden und über die Ziellinie zu kommen. Aber hier scheint viel in Bewegung zu sein, das ist lösbar.

Was erwarten Sie sich vom Chips Act für den Standort?
Insgesamt bietet er enorme Chancen. Man darf nicht vergessen, dass Österreich im Halbleiter- und Mikrochip-Bereich schon jetzt der viertgrößte Standort Europas ist. Wir haben ein fantastisches Fundament – und noch viel Potenzial.

Aus Industriekreisen ist immer wieder Enttäuschung darüber zu vernehmen, dass es rund um Freihandelsabkommen, wie etwa Mercosur, in der Regierung keine lauten Pro-Stimmen gibt. Teilen Sie diese Enttäuschung?
Ja, absolut. Die EU hat 46 bestehende Freihandelsabkommen mit 78 Staaten abgeschlossen, sie sorgen beidseitig für Vorteile. Dass die wirtschaftsvertretende Partei in der Bundesregierung nicht klar für ein Mercosur-Abkommen Stellung bezieht, ist für mich vollkommen unverständlich und schädlich für den Standort Österreich und Europa.