Nähert man sich einem Thema, sind Zahlen meist ein gutes Hilfsmittel. Wobei nicht immer die exakte Zahl wichtig ist. Oft reicht schon die Dimension.

Ähnlich verhält es sich mit Googles Suchmaschine. Dort lohnt es sich, mit der 92,63 zu beginnen. Die Zahl selbst sagt wenig, die Kontextualisierung alles. Die mehr als 90 Prozent stehen nämlich für den Marktanteil der Google-Suche, wie ihn die Statistiker von Statcounter mit April 2023 ausspucken. Mehr als neun von zehn Internet-Nutzern verwenden also Google, um online zu suchen.

Dabei verarbeitet die Suchmaschine Unmengen an Daten. 99.000 Anfragen werden jede Sekunde beantwortet, 8,5 Milliarden sind es jeden Tag. Vor zehn Jahren waren es noch weniger als jede Hälfte. Ob Googles Dominanz ist es auch nicht verwunderlich, dass Änderungen an der Suchmaschine mit Argusaugen beobachtet werden. Vor allem, wenn es sich um die gravierendsten Änderungen seit langer Zeit handelt. Willkommen im Mai 2023!

"Zehn bis 15 Jahre hat sich bei Suchmaschinen für den normalen Konsumenten nichts getan", sagt Jörg Wukonig, auf Suchmaschinenoptimierung spezialisierter Unternehmer aus Graz – "seit zehn Jahren sehen wir blaue Links und oben drüber Werbung". Jetzt aber sei alles anders. "Es ist gerade eine Riesendynamik da", analysiert Wukonig. Und Google, nonanet, ist mittendrin in der Dynamik. Wenngleich öffentlich zunächst andere als Beschleuniger auftraten. Als OpenAI im November den Chatbot ChatGPT öffnete, begann ein Wettrennen um den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI).

"Wir haben die Suchmaschine neu gedacht"

Jetzt kontert Google. Zur Eröffnung der Konferenz I/O zeigte man die eigene Zukunft. KI spielt die entscheidende Rolle. Auch in der Suche. "Search Generative Experiment" nennt Google eine erstmals präsentierte Suchmaske. Das Ziel des vorerst nur in den USA zugängigen "Experiments": Nutzern "mehr Informationen und Kontext" für ihre Suche zu liefern. "Wir haben die Suchmaschine neu gedacht", ist Google nicht um Zurückhaltung bemüht, von einem "dramatischen Wendepunkt" spricht Google-Chef Sundar Pichai.

Was die neue Suche ausmachen soll? Sie bietet ausführliche Antworten auf komplexe Fragestellungen ("Was ist besser für eine Familie mit Kindern unter drei Jahren und einem Hund, der Bryce Canyon oder der Arches Nationalpark?"). Und listet etwa passende Fahrräder für eine hügelige, acht Kilometer lange Strecke. Auch Folgefragen sind möglich, der Kontext wird von Frage zu Frage übernommen. Nicht zuletzt wird ein Chatbot in die Suche integriert. Aus Sicht der Nutzer sei die Transformation gut, meint Wukonig. Die KI-Suche würde Zeitersparnis bringen, zugleich werde die "Suche wieder natürlicher. Wie unsere Sprache".

Laura Hazard Owen vom Nieman Lab glaubt, dass die neue Suche Potenzial hat, das Internet so stark zu verändern, wie es "seit längerer Zeit" nicht mehr geschah, schreibt sie. Die Auswirkungen seien mannigfaltig. Dass Direktlinks künftig in den Hintergrund treten, werde etwa die Zugriffe auf Webseiten außerhalb des Google-Universums "signifikant verringern". Im Einklang mit geringerer Reichweite würden sich wiederum Werbeeinnahmen massiv reduzieren.

Angekündigt wurde Googles Änderung im Angesicht einer selbstbewusster werdenden Konkurrenz. Auch in Sachen KI-Suche ist OpenAI-Investor Microsoft mit der Suchmaschine Bing vorgeprescht, indem es ChatGPT integrierte. Was kaum verwundert, hat Bing mit knapp drei Prozent Marktanteil kaum etwas zu verlieren. Das Risiko einer fehlerhaften KI (Stichwort "Halluzination") nimmt Microsoft in Kauf. Für Google ist diese Strategie untauglich. Ein Glaubwürdigkeitsverlust wäre für den Krösus ein GAU. Auch deswegen lässt es Google vorerst offen, bis wann die KI-Suche flächendeckend eingeführt wird. "Es wird noch ein bis drei Jahre dauern", rechnet Jörg Wukonig. "Dann wird es groß werden."