Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat ein wichtiges Urteil im VW-Abgasskandal gefällt. Demnach kann der Käufer eines VWs mit einem Motor, der nur bei milden Temperaturen die Abgasreinigung einschaltet, das Auto zurückgeben und den Kaufpreis zurückverlangen.

Die nachträglich aufgespielte Software, die das Problem beheben sollte, enthalte wieder so ein "Thermofenster" und saniere den Schaden für den Käufer nicht, urteilte das Höchstgericht (10 Ob 2/23a).

"Diese Entscheidung ist der 'Löser' für sämtliche Verfahren, die
wegen des ursprünglichen Skandalmotors (EA189) geführt werden. Die
Ansprüche sind auch noch nicht verjährt", sagt der Anwalt Michael
Poduschka, der in diesem Fall den klagenden Autokäufer vertritt, zu
dem Urteil. Auch die Auswirkungen auf alle anderen vom Abgasskandal
betroffenen Automarken seien enorm.

VW hingegen kritisiert, dass es sich um "Einzelfälle" handle, und, dass der OGH seiner Entscheidung falsche Tatsachen über das Thermofenster in der neuen Software zugrunde gelegt habe. Sonst hätte das Höchstgericht anerkennen müssen, dass der ursprüngliche Mangel mit dem Software-Update behoben wurde, meint der Fahrzeughersteller.

Und darum geht es in weiterer Folge: Kann man das aktuelle Urteil auf jeden Fall umlegen, oder betrifft es tatsächlich nur Einzelfälle, wie man bei VW erklärt.

In Anlehnung an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
hält der OGH fest, dass die Abschaltung der Abgasreinigung außerhalb
eines definierten Temperaturbereichs (Thermofenster) für den Käufer einen Schaden darstellt, da die weitere Nutzung des Fahrzeugs damit
ungewiss wird.

OGH: "Beweislastumkehr"

Der OGH hat in dem soeben zugestellten Urteil auch festgestellt,
dass VW nachweisen müsste, im Zusammenhang mit der Abschaltvorrichtung für die Abgasreinigung nicht einmal fahrlässig
gehandelt zu haben. Da die Abgasnormen eine Schutznorm darstellen,
gelte hier eine Beweislastumkehr.

Hintergrund des aktuellen Urteils ist der 2015 bekannt gewordene
VW-Abgasskandal. Das Unternehmen hat zugegeben, dass zumindest bei
einem weit verbreiteten Motorentyp (EA189) die Abgasreinigung nur
auf dem Prüfstand umfassend funktioniert hat, im Realbetrieb aber
häufig abgeschaltet wurde, vor allem bei Kälte und Hitze. Seither
laufen zahllose Prozesse für Schadenersatz, nicht nur in Österreich.
Auch andere Autohersteller sind mit Klagen konfrontiert, weil die
Abgasreinigung nur in einem eingeschränkten Temperaturbereich
funktioniere.

VW hatte versucht, mit einem Software-Update den Motor zu
sanieren. Da aber auch die neue Software ein Thermofenster enthält,
sei damit der Schaden nicht saniert worden, stellte nun der OGH
fest.

Falsche Tatsachen laut VW

VW hält dem entgegen, dass das Erstgericht, dessen Urteil der OGH
nun im Wesentlichen bestätigt, das Thermofenster zu eng angenommen
habe. In Wahrheit sei das Thermofenster weiter, die Abgasreinigung
funktioniere also auch bei höheren und tieferen Temperaturen als im
Urteil angenommen. VW geht daher davon aus, dass der Mangel bei der
Abgasreinigung durch die neue Software doch saniert wurde.

Der OGH habe seine Entscheidung auf Basis falscher Tatsachen getroffen, meint VW. Diese hätten aber in diesem Verfahren nicht mehr
korrigiert werden können. Daher habe das Urteil auch nur
Auswirkungen auf "eine zweistellige Anzahl an Verfahren" mit
vergleichbaren "unzutreffenden und nicht mehr korrigierbaren
Tatsachenfeststellungen" in der ersten Instanz, so VW. Das
Unternehmen glaubt, dass das aktuelle OGH-Urteil keine Auswirkungen
auf die übrigen Verfahren – fast 1500 – hat.

Poduschka sieht das anders. Aus seiner Sicht müsste VW für jedes
Fahrzeug nun nachweisen, wo genau das Thermofenster liegt, was
umständlich und teuer wäre.

Der OGH hat in diesem Urteil auch ausdrücklich festgestellt, dass
der Fahrzeughersteller auch ohne direktes Vertragsverhältnis mit dem
Käufer schadensersatzpflichtig ist, also auch, wenn der Kauf über
einen Händler abgewickelt wurde.