Zuletzt war es um Ausstiegsmöglichkeiten aus den russischen Gaslieferungen nach Österreich still. Jetzt bringt Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) kurz nach dem E-Fuel-Gipfel von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Gesprächen zu einer Wasserstoffstrategie Freitagnachmittag das heiße Thema aufs Tapet. Gewessler pocht, wie in der Koalition vereinbart, auf den Ausstieg bis 2027. Von Nehammer waren zuletzt andere Signale gekommen. Er ist etwa strikt dagegen, die bis 2040 laufenden Lieferverträge der OMV mit Gazprom vorzeitig zu beenden. Die Pläne, die das Ministerium mit den Energieexperten Gerhard Roiss und Walter Boltz ausgearbeitet hat, sehen das auch nicht vor.

Ex-OMV-Chef Roiss und Ex-E-Control-Chef Boltz halten die europäische Marktlage bei Gas inzwischen für so flüssig, dass man sich gut woanders eindecken könne. Was für die OMV hieße, Gazprom-Gas woanders verkaufen zu müssen. Damit die Abkehr vom Russen-Gas wirklich passiert, will die Energieministerin große Industrieverbraucher, die Energieversorger und relevanten Händler mit "Anreizen" zu Einlagerungen verpflichten.

Ministerin Gewessler im ZiB2-Interview

Kosten "vertretbar"

500 Millionen Euro Kosten im Jahr erwarten die Experten, um etwa für Industriekunden 80 Prozent des Transports zu stützen oder 50 Prozent der Speicherkosten abzugelten. Insgesamt 60 Prozent des österreichischen Jahresbedarfs sollten Anfang November in den Speichern verfügbar sein. Fehlen Kapazitäten, könnte man in der Slowakei Gas einlagern. Die Kosten hält Gewessler im Sinne der Versorgungssicherheit für vertretbar, mit der Gazprom sei man erpressbar. Auch erspare man sich Schäden durch hohe Preisschwankungen.

20 Terawattstunden Gas ließ Gewessler 2022 um vier Milliarden Euro als Reserve anlegen. Heute viel weniger wert, kostet die Lagerung rund 100 Millionen Euro im Jahr. Aktuell sind Österreichs Speicher zu 67 Prozent gefüllt.

"Phase des Marktversagens noch nicht vorbei"

Laufen sollen die Gaseinkäufe über die OMV-Gashandelstochter OGMT. Für einige Jahre könnte sie etwa über eine Treuhandkonstruktion aus der OMV herausgelöst und der Staatsholding Öbag untergeordnet werden, sagt Roiss. Hier wären allerdings auch andere Aktionäre am Wort. Neu ist die Idee nicht, Anklang bei Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) fand sie aber nicht. Der hatte Ende 2022 mit Öbag-Chefin Edith Hlawati eine Gashandel-Koordinationsstelle mit nur wenigen Mitarbeitern vorgestellt. Angesichts der Komplexität des milliardenschweren Gasgeschäfts inklusive Ersteigerungen von Pipeline-Kapazitäten hält Roiss diese Variante für zu riskant. 200 erfahrene Fachleute seien im Minimum nötig. Auch er rechtfertigt die tiefen Eingriffe. Die Phase des Marktversagens sei noch nicht vorbei. Roiss: "Wir sollten nicht hoffen, weiter mit russischem Gas beliefert zu werden, sondern handeln, um von russischem Gas unabhängig zu werden." Boltz verweist auf die Stromproduktion mit Gaskraftwerken in Österreich, Importe aus Deutschland seien weniger abgesichert als früher. Teil des Plans ist ab 2027 auch Gas aus dem OMV-Feld Neptun im Schwarzen Meer. Die OMV entscheidet in Kürze über die Megainvestition.

Dass die EU im Mai erste Aktionen zu gemeinsamen Gaseinkäufen setzt, hat aus Ministeriumssicht keinen Einfluss. Experten verweisen aber auf ein anderes Problem: Gas habe kein Mascherl, bei LNG-Flüssiggas könne es sich sehr wohl weiterhin um russisches Gas handeln.