Genossen erinnern sich noch daran, dass nach dem Krieg dieGeschäfte am vorletzten und letzten Sonntag vor Weihnachten offenhielten. Die beiden Tage trugen die schönen Namen Silberner (der vorletzte) und Goldener Sonntag. Damals traute man sich noch, das Geldverdienen mit klingenden Namen zu veredeln. Viele waren froh darüber: Die Händler wegen des guten Geschäfts, ein Teil der Angestellten, weil sie gerne die Sonntagsüberstunden bezahlt bekamen und die Kunden natürlich auch.


Die Gewerkschaft begehrte kleinlaut auf und die Kirche lamentierte nicht von der besonderen Sonntagskultur, die dadurch in Gefahr sei. Die Leute fanden Zeit, sowohl in die Kirche zu gehen als auch zum Einkaufen. Keine „Allianz für den Sonntag“ schürte die Unzufriedenheit, niemand machte sich Sorgen wegen der „negativen Auswirkungen auf das Familienleben der Handelsangestellten“, denen man die beiden Tage „rauben“ wolle. So klagte der Vorsitzende des Katholischen Familienverbandes voriges Jahr, als die Idee mit dem Geschäftssonntag schon einmal diskutiert wurde. Dieselben Leute sprechen jetzt besorgt darüber, wie sehr das Daheimbleiben-Müssen von Eltern und Kindern im Lockdown das Familienleben belaste.


Irgendwann in den Sechzigerjahren ging es uns dann allen so gut, dass die beiden Einkaufssonntage stillschweigend aufgelassen wurden. Sie gingen niemandem mehr ab. Freizeit zu haben, war den Menschen wichtiger geworden. Arbeitgebern und Arbeitnehmern reichten jetzt zum Geldverdienen- und -ausgeben die Wochentage. Momentan geht es uns – hoffentlich nur vorübergehend – wieder nicht so gut und da war die Idee naheliegend, die Tage wieder einzuführen. Heuer kam wegen des Lockdown ohnehin nur der „Goldene Sonntag“ in Frage und wir werden ihn bekommen – leider ohne den klingenden Namen.


In jenen Tagen nach dem Krieg ging man noch nicht shoppen, sondern einkaufen. Das sind verschiedene Dinge. Zwar war die Zeit der selbstgestrickten Socken unter dem Christbaum bald vorbei und es folgten Pullover in Patentmuster mit dem schönen Namen Parallelo, aber Einkaufen war eine vergleichsweise ernste Sache. Freilich war die Freude daran nicht geringer als heute beim Shoppen. Aber man ging nicht herum, um zu schauen, was es gibt und man vielleicht kaufen könnte, sondern man benötigte etwas und ging gezielt auf die Suche danach. Die Auswahl war nicht groß. Unter dem Christbaum lagen dann Dinge, die man ohnehin gekauft hätte, nur waren sie eben in Weihnachtspapier gewickelt. Das Papier war übrigens reichlich kitschig: Ein dünnes, knittriges, helles Etwas bedruckt mit Kerzen- und Tannenzapfen-Mustern.


Ein Umtausch von Geschenken und von Kleidungsstücken, die nicht passten, war zwar auch damals schon möglich, aber doch irgendwie peinlich. Etwas einfach ohne weitere Erklärung zurückzugeben, war noch nicht vorgesehen. Auch wusste man, dass die Dinge, die man zurückbrachte, nicht wie heute massenhaft weggeworfen und vernichtet wurden, sondern wieder verkauft werden sollten. Sie mussten daher ungebraucht und in der Original-Verpackung sein. Deshalb war man beim Einkaufen auch sehr überlegt, vor allem, wenn man nicht viel Geld hatte und sparsam sein musste.


Es muss zu Weihnachten 1950 gewesen sein. Das Kind sollte feste Schuhe bekommen. Es waren nicht richtige Bergschuhe, sondern hohe Schuhe mit einem hübschen Stoffrand und jedenfalls schon mit einer rutschfesten Gummisohle und nicht mehr genagelt, was sie es zu dieser Zeit auch noch gab. Die Familie ging ins Schuhgeschäft, suchte die Schuhe aus, die man vorher schon der Auslage gesehen hatte und der Bub musste sie anprobieren. Man erzählte ihm, sie seien für den Cousin bestimmt, der woanders wohnte, aber angeblich dieselbe Schuhgröße hatte. Der Bub war etwas traurig, dass er die schönen Schuhe für den Cousin probieren musste, dem es ohnehin viel besser ging und der immer alles bekam, was er sich wünschte. Aber er schluckte die Enttäuschung tapfer hinunter. Umso größer war die Freude, als die Schuhe dann unter dem Christbaum lagen.


Nach einem Umweg über meinen älteren Bruder, bei dem er Jahrzehnte lang wenig benützt gestanden war, landete unser bescheidener Stutzflügel schließlich bei zweien meiner Enkel. Das Klavier hat einen argen Schönheitsfehler, der aber die Tonqualität nicht beeinträchtigt und die Buben nicht daran hindert, darauf Klavierspielen zu lernen. Das trug sich so zu: Mein Vater und Bruder achteten beim Aufputzen des Christbaums immer sehr darauf, dass ja nichts anbrennen konnte und die Kerzen zugleich gleichmäßig verteilt waren. Sie machten diese Arbeit aber bei geschlossenem Klavier.
Dann der feierliche Augenblick. Die Kerzen brennen still, meine Mutter setzt sich ans Piano, klappt den Deckel auf und beginnt: „Stiiille Nacht, heiiilige …. hmhm ... Nacht; alles ... hhhm ... schläft ...“ „Was stinkt da?“ Aber da war es schon um einige Sekunden zu spät. Genau an der Stelle, wo der aufgeklappte Deckel über das Klavier hinausragt, brannte eine Kerze. Das hatten Vater und Bruder nicht bedacht. Ob das „Stille Nacht“ wieder aufgenommen wurde, weiß ich nicht mehr. Der runde Brandfleck am Klavierdeckel wurde nie repariert, meine Mutter pflegte diskret ein gehäkeltes Deckerl draufzulegen.

Die „Allianz für den freien Sonntag“ muss sich nicht vor einem großen Kulturbruch fürchten, wenn für einmal am Sonntag die Geschäfte offen haben. Und so bescheidene Weihnachten wie zu Zeiten des Goldenen und Silbernen Sonntags drohen uns auch heuer nicht.