Der Staatsfeiertag am 26. Oktober wurde Andreas Achammer zum Verhängnis. Zum Verhängnis mit Amazon. Über den Onlinemarktplatz waren beim Fachhändler für Dübel Bestellungen aus Deutschland eingegangen.

Doch weil Feiertag war, versandte Achammer die Pakete am Tag darauf. Prompt wurden insgesamt etwas mehr als zehn Sendungen als verspätet abgeschickt vermerkt. „Zuerst habe ich das nicht ernst genommen“, schildert der Unternehmer aus Salzburg der Kleinen Zeitung. „Es ging ja nur um einen Tag. Doch dann wurde mein Händlerkonto bei Amazon ohne Vorwarnung gesperrt.“ Was folgte, war ein zermürbender E-Mail-Verkehr. „Ich gelobte, pünktlich zu liefern, und bat wieder um Freischaltung.“ Doch sei er immer wieder von Amazon aufgefordert worden, besser zu begründen, warum er Pakete künftig pünktlich liefern werde, sagt Achammer. Nichts half, das Konto des Dübel-Shops blieb gesperrt und ist es nun seit mehr als zwei Jahren.
(Handelsverband: "Amazon ist wie ein Staat im Staat")

Kein Wunder, dass es Achammer gut findet, wenn sich nun etwas bewegt: Die vielen Beschwerden über Amazon, die der Handelsverband von Händlern gesammelt hat, veranlassten die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zur Einleitung von Ermittlungen gegen den Online-Giganten. Amazon missbrauche seine Marktmacht und verstoße gegen österreichisches und europäisches Kartellrecht, lautet der Verdacht. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Dieser Vorwurf ist nicht neu – und längst weht dem US-Konzern ein rauer Wind in Europa entgegen. Bereits einmal, Ende 2017, verhängte Frankreich nach zwei Jahren Ermittlungen zehn Millionen Euro Strafegegen Amazon. Das deutsche Bundeskartellamt leitete Ende November des Vorjahres eine Untersuchung ein und hegt im Wesentlichen dieselben Verdachtsmomente wie die österreichische BWB. Sie werde, betonte die BWB, mit dem Bundeskartellamt und der EU-Kommission eng kooperieren. Denn Amazon ist auch im Visier der Brüsseler Behörden.
Einen ersten Erfolg dürfen die Kritiker bereits für sich verbuchen. EU-Parlament, Rat und Kommission einigten sich vor einer Woche auf mehr Fair Play, indem die Rechte der Händler in mehreren Punkten gestärkt werden. Konkret sollen „plötzliche, unbegründete“ Sperren verboten werden.

Rasantes Wachstum

Das Tempo, mit dem der Onlinehandel in Österreich wächst, ist für die Branche atemberaubend. Der stationäre Einzelhandel kann da nicht mithalten. Was dem Handelsverband, aber auch der Sparte in der Wirtschaftskammer dabei Sorgen bereitet, ist die enorme Marktkonzentration.

© APA/AFP/JOHANNES EISELE

Die zehn größten Webshops erwirtschaften in Österreich mehr Umsatz als die folgenden 250 und vereinten 2017 erstmals einen Umsatzanteil von über 50 Prozent auf sich. Branchenprimus mit großem Abstand ist Amazon. 2017 erzielte der Gigant in Österreich 690 Millionen Euro Umsatz via amazon.de und amazon.com. Hinzu kommt ein geschätzter Erlös von mindestens 700 Millionen über den Marktplatz. 93 Prozent aller Onlineshopper in Österreich haben bereits bei Amazon eingekauft – jeder zweite E-Commerce-Euro landet dort.

Die Folge dieser Konzentration: Nur noch ein kleiner Teil der 9000 österreichischen Onlineshops verzeichnet Umsatzzuwächse. Ein großer Teil der Wertschöpfung fließt ins Ausland ab.

Kritische Doppelrolle

„Amazon ist zu einem Staat im Staat geworden“, sagte Rainer Will, Chef des Handelsverbandes, der Kleinen Zeitung. Eines der Hauptprobleme sei Amazons Doppelrolle als klassischer Händler und als Betreiber des Marktplatzes, auf dem andere Händler ihre Waren feilbieten. „Das birgt Potenzial für die Behinderung der anderen Händler“, meint Andreas Mundt, Chef des Bundeskartellamtes. Amazon könne die Daten der gelisteten Verkäufer einsehen, deren Preise unterbieten und das Geschäft an sich binden.

„Viel habe ich nicht verdient“, sagt Dübel-Händler Achammer zum harten Wettbewerb auf der Plattform. Er hatte 2008 seinen Shop eröffnet und zwei Jahre viel über Amazon verkauft. „Es war ein Groscherlgeschäft. Es ist immer ein Billigbieter auf dem Markt. Gekauft wird beim Günstigsten.“

Die Vertragsbedingungen

Die Dominanz von Amazon im Onlinehandel erlaubt es dem US-Konzern, den Händlern auf dem Marktplatz die Bedingungen zu diktieren. Diese sind eine weitere Stoßrichtung der Ermittler und des Handelsverbandes. Der Mustervertrag, der von allen zu akzeptieren ist, enthält annähernd 100 Klauseln bzw. Absätze. Eine Reihe davon stuft der Handelsverband als bedenklich ein, denn sie seien mit „erheblichen Unklarheiten und Vorbehalten zugunsten Amazons verbunden“.

Rainer Will ist überzeugt, die Klauseln würden einer Klage in Österreich nicht standhalten, doch unterliegen die Verträge dem Recht des Großherzogtums Luxemburg. „In Luxemburg-Stadt muss man erst einen Anwalt finden, der gegen Amazon klagt“, sagt Will. Plan der EU ist immerhin, die rechtlichen Möglichkeiten von Unternehmensverbänden zu verbessern.

Unter Punkt 3 der „Allgemeinen Bedingungen“ behält sich Amazon das Recht vor, die Verträge mit seinen Händlern jederzeit ohne Grund und mit sofortiger Wirkung zu kündigen oder auszusetzen. Unter Punkt 19 hat Amazon das Recht, „alle Programmbedingungen und -richtlinien zu jeder Zeit nach freiem Ermessen zu ändern“ – auch dagegen will die EU nun aber vorgehen. Unter Punkt 4 treten die Händler weitreichende Nutzungsrechte und Lizenzen der bereitgestellten Materialien an Amazon ab. Wer seine Produkte bei Amazon lagert, muss damit einverstanden sein, dass Bestände gemischt werden, während der US-Riese für sich selbst alle Pflichten als Lagerhalter ausschließt. Die Liste an Beispielen ließe sich noch um mehrere Punkte fortsetzen.

„Wäre ich von Amazon abhängig gewesen, ich hätte zusperren können“, sagt Achammer angesichts der damaligen abrupten Sperre. Er wirft dem Konzern vor, durch das „aggressive Auftreten“ auf dem Markt „die kleinen Händler umzubringen“. Der Händler stößt sich auch an der Art der Kommunikation von Amazon. „Kein Mail war mit Namen gezeichnet“, erzählt Achammer. „Man ist mit mir umgegangen wie mit einem dummen Buben – von oben herab.“ Ein Grund, warum er letztlich gesperrt und nie wieder freigeschalten wurde, sei ihm nie genannt worden.

Das sagt Amazon

Die vom Handelsverband vorgebrachte Kritik kommentiert Amazon im Einzelnen nicht, das gilt auch für das laufende Verfahren der BWB. Doch verweist Sprecher Tobias Goerke auf die „Guidelines“, sie enthalten Verkaufsrichtlinien und einen umfangreichen Verhaltenskodex für Verkäufer. Zentrale Sätze darin: „Handeln Sie immer auf eine Art und Weise, die eine vertrauenswürdige Erfahrung für Amazon-Kunden gewährleistet.“ Und: „Bieten Sie nie Produkte an, die Schaden für Amazon-Kunden verursachen können.“ Dem Vernehmen nach werden Händlerkonten nach der Verletzung der Regeln gesperrt und nur in schweren, extremen Fällen würden Verkäufer keine Informationen mehr bekommen – während Amazon die Regelverletzung untersuche. „Wir handeln schnell, um unsere Kunden zu schützen“, sagt Goerke.

Amazon verweist darauf, wie viel man für Zehntausende kleine und mittlere Handelsunternehmen tue. „Wir investieren jedes Jahr Milliarden in die Infrastruktur, das Fulfillment (Erfüllung der Aktivitäten, Anm.) und das Vertriebsnetz. Davon profitieren die Verkäufer, es erleichtert ihnen den Zugang zu E-Commerce.“

Der Einzelkämpfer

„Im besten Fall werden gesperrte Verkäufer nach einer Untersuchung wieder freigeschaltet“, erklärt Goerke. Darauf wartet Andreas Achammer mit seinem Dübel-Shop nicht mehr. „Ich möchte mit Amazon nichts mehr zu tun haben. Ich schaffe es selbst“, sagt er. Er sei der klassische Einzelhändler, der sich mit Spezialprodukten in einer Nische positioniert habe und zu 90 Prozent über seinen eigenen Onlineshop verkauft. Wichtig für ihn ist dabei die Positionierung auf Google, damit Kunden zu ihm finden. Der schärfste Konkurrent ist auch hier – Amazon.