Nicht einmal mit einem geringen Steuertarif können sich die EU-Finanzminister auf eine Digitalsteuer einigen. Sind Google, Facebook & Co überhaupt noch zu zähmen?
MARIYA GABRIEL: Fortschritte bei der Einführung einer Digitalsteuer auf EU-Ebene sind schwierig, da hier einstimmig entschieden werden muss. Jüngste Entscheidungen in der Wettbewerbspolitik - denken Sie an Apple oder Google - zeigen aber, dass die EU kein zahnloser Tiger ist. Darüber hinaus zielen unsere Vorschläge zur Schaffung eines digitalen Binnenmarkts darauf ab, Wettbewerbsgleichheit für alle Marktteilnehmer zu erreichen.

Vor den EU-Wahlen 2019 soll ein Kodex die Internetriesen dazu anhalten, keine Fake News zu verbreiten. Google und Facebook haben zwar zugesagt, doch glauben Sie, dass das gelingt?
In der Tat haben im September große Online-Plattformen und die Werbeindustrie einen Verhaltenskodex zur Selbstregulierung vorgelegt, der eine breite Palette von Verpflichtungen zur Bekämpfung von Desinformation beinhaltet. Ich begrüße dies als einen Schritt in die richtige Richtung, aber die Plattformen müssen ungeachtet dessen ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Verbreitung von Fake News verstärken. Der Verhaltenskodex sollte zu einer transparenten, fairen und vertrauenswürdigen Online-Kampagne im Vorfeld der Europawahlen im Frühjahr 2019 beitragen und gleichzeitig die Grundprinzipien Europas: der freien Meinungsäußerung, der freien Presse und des Pluralismus voll respektieren. Wir werden Fortschritte genau verfolgen und Ergebnisse des Verhaltenskodex bis Ende 2018 analysieren. Sollten sich die Ergebnisse als unbefriedigend erweisen, kann die Kommission weitere Maßnahmen vorschlagen, darunter auch solche mit Gesetzeskraft.

Welchen Stellenwert messen Sie gegenüber diesen Medien Qualitätsjournalismus bei?
Hochwertiger Journalismus ist gemeinsam mit der freien Meinungsäußerung ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Willensbildung. Insofern ist er natürlich von essenzieller Bedeutung. Darüber hinaus wollen wir mit einer Modernisierung des Urheberrechts in der EU dazu beitragen, dass mit journalistischen Inhalten ein fairer Anteil an der Wertschöpfung erzielt werden kann, damit die wirtschaftliche Grundlage für diese publizistische Arbeit weiterhin gesichert ist.

Sie geben Amazon, Ebay & Co neue Regeln vor, nach denen sie Auskunft über ihre Nutzung der Daten von europäischen Händlern und Konsumenten gewähren müssen. Was beobachtet dazu Ihre 15-köpfige Kontrollgruppe?
Die Expertengruppe hat ihre Arbeit aufgenommen. Am wichtigsten ist jetzt aber, dass der zugrunde liegende Gesetzesvorschlag einer Verordnung „zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten“ schnell in Kraft tritt. Die Diskussionen im Europäischen Parlament und im Rat sind ermutigend.

Von Youtube & Co, den Video- und Streaming-Plattformen, verlangen Sie, dass sie zumindest 30 Prozent europäischen Content anbieten. Ist das realistisch?
Die neuen Regeln verpflichten Video-on-Demand(VoD)-Anbieter, diese Quote zu erfüllen. Sie sind also obligatorisch und müssen insofern auch realisiert werden. Ich halte das im Übrigen für durchaus machbar, da es in Europa genug kreatives Potenzial gibt, auf das die Anbieter zugreifen können. Außerdem hat eine Studie in 2015 ergeben, dass bereits damals europäische Filme 27 Prozent des VoD-Angebots ausmachten.

Ein Treibstoff der Digitalisierung sind Mikrochips. Was bedeutet das modernste Halbleiterwerk der Welt in Villach für den digitalen Standort Europa?
Die Mikroelektronik ist eine Schlüsseltechnologie bei der digitalen Transformation und ein wesentlicher Faktor für die zukünftige Entwicklung der europäischen Wirtschaft insgesamt. Die Grundsteinlegung für eine ambitionierte Chipfabrik in Villach zeigt, dass wir es mit unserem Schwerpunkt Mikroelektronik in der Industriepolitik ernst meinen.

Wie gedenkt die EU, Schlüsseltechnologien bei Wettbewerbsbedingungen zu beschützen?
Fairer Wettbewerb und gerechte Investitionsbedingungen sind für uns die essenziellen Grundlagen, damit innovative Technologien florieren können. Wir betreiben also keinen Protektionismus, sondern investieren gezielt in strategisch wichtige Sektoren. Im Bereich der Mikroelektronik haben sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten in der ECSEL-Initiative zusammengetan, die bis 2020 Investitionen von bis zu fünf Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung vorsieht. Auch die Investitionen von Infineon in das Werk in Villach sind zum Teil das Ergebnis von Projekten unter dem Dach von ECSEL.

Im aktuellen Internet-Trendreport von Kleiner Perkins kommt Europa zwischen den USA und China gar nicht mehr vor. Hat die EU den Wettlauf um die digitale Zukunft schon verloren?
Nein. Natürlich stehen wir im globalen Wettbewerb, und es ist richtig, dass die USA und China uns in einigen Bereichen voraus sind. Andererseits hat Europa auch Potenzial und Stärken, auf denen wir aufbauen, wie zum Beispiel bei der künstlichen Intelligenz (KI). Auch aus diesem Grund haben wir das neue Programm „Digitales Europa“ vorgeschlagen, welches allein im Bereich KI Investitionen von 2,5 Milliarden Euro vorsieht.

Für „Digitales Europa“ stehen 2021 bis 2027 insgesamt 9,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Wie weit ist dabei das Supercomputer-Projekt EuroHPC gediehen?
„Digitales Europa“ sieht 2,7 Milliarden Euro für Projekte zum Aufbau und zur Stärkung der Kapazitäten für Hochleistungsrechnen in Europa vor. Damit tragen wir der zentralen Bedeutung dieses Themas für die Entwicklung in vielen Sektoren Rechnung - von der Gesundheitsversorgung und erneuerbaren Energien bis hin zu Fahrzeug- und Cybersicherheit. Die Mittel werden eine effektivere und umfangreichere Nutzung des Hochleistungsrechnens im öffentlichen sowie im privaten Sektor, auch in kleinen und mittleren Unternehmen, gewährleisten. EuroHPC, unsere gemeinsame Initiative mit 24 EU-Staaten und der Schweiz zur Unterstützung von Hochleistungsrechnern, macht gute Fortschritte. Anfang 2019 wird die Entscheidung über die Beschaffung von ersten Supercomputern getroffen, die dann im Laufe der kommenden zwei Jahre in Ländern installiert werden, die an EuroHPC teilnehmen. Bis 2022/2023 soll damit eine Hochleistungsrechen- und Dateninfrastruktur von Weltrang aufgebaut werden.

Was steht beim „Digitalen Europa“ noch prioritär auf der Agenda?
Zunächst ist Cybersicherheit zu nennen. Hier werden zwei Milliarden Euro investiert, um die Sicherheit der digitalen Wirtschaft, der Gesellschaft und der Demokratien in der EU zu gewährleisten. Für digitale Kompetenzen haben wir ein Volumen von 700 Millionen Euro vorgeschlagen, damit Arbeitskräfte fortgeschrittene digitale Kompetenzen durch lang- und kurzfristige Schulungen sowie Praktika am Arbeitsplatz erwerben können. Mit einer Förderung von 1,3 Milliarden Euro soll der digitale Wandel bei Verwaltung und öffentlichen Dienstleistungen gewährleistet werden.

Wie hilft die EU kleineren und mittleren Unternehmen auf dem Weg ins digitale Zeitalter?
Wir verfolgen das Ziel, in den nächsten Jahren in jeder Region der EU einen „Digitalen Innovations-Hub“ aufzubauen. Diese Hubs werden das notwendige Know-how versammeln, um die lokale Wirtschaft bei der weiteren Digitalisierung zu unterstützen.