Siemens ist weit über 100 Jahre alt und hat einen Börsenwert von rund 100 Milliarden Euro. Der Verschwindebilderdienst Snapchat ging jetzt an die Börse – bewertet mit 35 Milliarden. Sind die Börsen verrückt oder ist die Old Economy nichts mehr wert?
WOLFGANG WRUMNIG: Ich glaube nicht, dass die Old Economy nichts mehr wert ist. Unterschiedliche Bewertungsmodelle führen zu diesen Ansätzen. Das sah man auch bei Facebook, Uber und anderen Firmen, die in den Anfangsstadien kaum Umsätze gezeigt haben.

Snapchat schrieb noch nicht einmal schwarze Zahlen.
Es ist eben die Fantasie in den Zahlen, die Fantasie der Investoren, was daraus werden kann, die sich dann in diesen Bewertungen abbildet.

Für Sie als Finanzvorstand bei Siemens Österreich sind Kurs und Börsenwert schon wichtig. Setzt das Siemens noch mehr unter Druck zusätzlich zur Digitalisierung?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Unsere Strategie ist auf drei Säulen aufgebaut. Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung. Darauf aufgesetzt ist das Thema Innovation. Das wurde 2014 vom Vorstand mit seinem Leadership-Team entwickelt und das prägt die Richtung, in die wir gehen. Auch indem wir gezielt Start-up-Kultur forcieren, um neue Ideen zu entwickeln, die später wieder der Old Economy zugutekommen. Das Wichtige für den Erfolg ist Innovation.

Sie waren jahrelang für Siemens in Spitzenfunktionen in den USA tätig, besonders im Health-Care-Bereich. Bringen Sie Silicon-Valley-Spirit von dort mit ins Unternehmen nach Österreich?
Ich bin immer der Einzige, der ohne Krawatte zu Veranstaltungen kommt. Im Ernst: Ich war im Health-Care-Bereich der Labordiagnostics und da haben wir uns sehr viel mit Zukunftsthemen beschäftigt. Auch mit Unternehmen, die klein sind, noch nicht die großen Umsätze, aber eine hohe Bewertung haben. Da denkt man in der Pharmaindustrie anders.

CEO Joe Kaeser will Healthineers, die Medizintechniksparte von Siemens, an die Börse bringen. Die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Steinborn warnt aber vor weiteren Abspaltungen, weil das Marke und Konzern gefährden würde.
Ich kenne die Diskussionen und man muss sich mit solchen Fragen immer wieder beschäftigen. Das Thema großer Tanker versus Schnellboote ist kein neues Thema bei uns. Wir leben in einer Zeit, wo wir uns weiterentwickeln müssen. Das macht das Leben auch spannend.

Health Care ist in Österreich ein gutes Geschäft, in der Erzeugung steht aber alles „auf Schiene“.
Ja, die Fertigung für den Bereich Healthcare haben wir in anderen Ländern. In Österreich sind wir mit den Trafowerken Linz und Weiz und den Mobility-Werken Wien und Graz für die Bahnindustrie sehr präsent. Das ist gute alte „Old Economy“ –und erfolgreich: In beiden Bereichen gibt es wahre Exportchampions, mehr als 80 Prozent der Erzeugnisse werden in andere Länder verkauft. Das sind tolle Themen, die wir vorantreiben.

Die Bahnsparte steht gerade vor der größten Weichenstellung. Fusion mit dem Mitbewerber Bombardier oder nicht?
Ich habe diese Diskussionen natürlich mitverfolgt. Aber derzeit sind das nicht mehr als Gerüchte. Wir werden uns dann den Themen widmen, wenn Entscheidungen gefallen sind.

Die Belegschaft hat Befürchtungen. Bombardier stellt in Wien mit 550 Mitarbeitern ebenso Straßen- und U-Bahnen her wie Siemens mit 1200 Mitarbeitern.
Das sind derzeit nicht mehr als Gerüchte. Derzeit macht es aber keinen Sinn, Szenarien zu diskutieren.

Das Fahrgestellwerk in Graz, in dem 1000 Beschäftigte arbeiten, wäre mitbetroffen?
Das Fahrgestellwerk ist Teil von Mobility. Sollten Veränderungen kommen, werden wir uns das ansehen.

Es geht ja darum, den viel größeren chinesischen Konkurrenten CRRC abzuwehren.
Das ist jedenfalls der Hintergrund der aktuellen Gerüchte. In China ist ein großes Bahnunternehmen entstanden, das stark nach Europa expandieren möchte. Die Frage ist: Welche Strategie verfolgt Europa als Antwort darauf?

Von der Steiermark, von Weiz aus sind Sie aber auch erfolgreich. Gerade stützt Siemens mit Trafos New Yorks Stromversorgung.
Das stimmt. Die Kollegen aus Weiz arbeiten intensiv mit dem lokalen Energieversorger in New York zusammen – von dem übrigens ich auch Strom bezog, als ich dort lebte und auch die ungute Erfahrung von Black-outs machen musste. Da waren wir bei Hurrikans zweimal sieben Tage ohne Strom. Deswegen finde ich es toll, dass wir mit der Kompetenz hier auch die Energieversorgung in den USA stabilisieren können. Wir entwickeln Trafos, die weniger Öl verwenden, umweltfreundlicher sind.

Die beiden Blöcke, die die Energie Steiermark für das Murkraftwerk bestellt hat, wollen Sie jedenfalls auch liefern?
Wenn es die Umwelt schont und unser Kunde das wünscht, selbstverständlich.

Bei Digitalisierung – Industrie 4.0 – erwartet man sich von Siemens Leadership. Wo steht man?
Wir sind ein Vorreiter bei Industrie 4.0. Wir sprechen von Digital Enterprise und haben ein Portfolio aufgebaut, das die gesamte Wertschöpfungskette beinhaltet, vom Design über das Manufacturing bis zur Wartung. Da haben wir bei Hardware und Software mit „mindsphere“ ein Betriebssystem für das Internet der Dinge entwickelt, mit dem wir am besten von allen Wettbewerbern aufgestellt sind.