Die Schilder in russischen Einkaufszentren können fast schon als ein Ausdruck der Verzweiflung gelesen werden: 70 Prozent Rabatt gibt es auf Kleider, Schuhe oder Kosmetik-Artikel – die Wahrscheinlichkeit, dass der Handel trotzdem auf vielen Waren sitzen bleibt, ist groß. Denn nach herben Reallohnverlusten und Einschnitten bei den Pensionen im Vorjahr könnte es heuer ähnlich hart weitergehen. Russlands Wirtschaft hängt so stark am Öl, dass der Preis von rund 30 Dollar je Barrel für das Land „Alarmstufe Rot“ bedeutet.

Wie schwer es Russlands Wirtschaft 2015 erwischt hat, ist inzwischen amtlich: Sie schrumpfte um 3,7 Prozent. Der private Konsum brach sogar um zehn Prozent ein, die Aussichten sind düster. Der Internationale Währungsfonds geht nicht von einem Ende der Rezession aus und erwartet heuer ein Minus von zumindest einem Prozent.
„Alle sind im Moment mit der Revision ihrer Prognosen beschäftigt,“ sagt der Russland-Experte im Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), Peter Havlik. „Das Staatsbudget stimmt nicht mehr, die Industrie muss Investitionspläne stutzen, die Importe werden noch einmal zurückgehen.“

Er selbst sei ursprünglich von einer Stabilisierung ausgegangen. Nun sehe er bestenfalls Stagnation. „Das ist abhängig davon, welche Gegenmaßnahmen die Regierung etwa in Form von Investitionsprogrammen oder Importsubstitutionsprogrammen beschließt.“
Besonders schmerzhaft wirken sich in diesem Zusammenhang auch die Finanzsanktionen aus, welche die Finanzierung von russischen Großprojekten mit ausländischen Krediten erschweren. In Russland wiederum liegt der Leitzins bei elf Prozent und macht Kredite dementsprechend teurer.

Ölpreis im freien Fall

Das schwarze Gold ist Russlands Geld: Die Hälfte des russischen Haushaltes wird durch den Öl- und Gasexport finanziert. Mit dem Ölpreis ist aber nun auch der Rubel (im Verhältnis zum US-Dollar) auf den tiefsten Stand seit der Währungsumstellung 1998 abgestürzt. Auch im Vergleich zum Euro zeigt sich ein drastischer Verfall: Zahlte man für einen Euro Anfang 2014 noch knapp 40 Rubel, stieg der Wert zuletzt auf bis zu 90 Rubel an (siehe Grafik).
Der schwache Rubel „frisst“ den russischen Haushalten damit die Kaufkraft weg. Um 3,5 Prozent waren die Realeinkommen der Bevölkerung bereits 2015 gesunken. Die Bevölkerung „verarmt“, warnt nun Wirtschaftswissenschafter Igor Nikolajew. Der frühere sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow sieht Russland „in einer ernsten Lage“.

Dazu trägt auch bei, dass sich die Konzerne des Landes bei den Investitionen massiv einbremsen. Um sechs Prozent gingen die Bruttoanlageinvestitionen bis Ende August 2015 zurück, Tendenz weiter fallend. Selbst Importstopps und der politisch bewusst eingeschränkte Wettbewerb sind kein voll wirksames Gegenmittel, bremsen lediglich die Talfahrt, sodass die Industrieproduktion von Jänner bis August 2015 mit einem Minus von 3,2 Prozent etwas weniger als die Gesamtwirtschaft zurückgefallen ist.

Eine Entwicklung, die Österreichs Maschinen- und Metallwarenindustrie voll zu spüren bekommen hat. „Russland war unser viertwichtigster Außenhandelspartner“, sagt Berndt-Thomas Krafft, Geschäftsführer des Branchenverbandes FMMI. Der Einbruch 2015 war gewaltig. Aussicht auf Besserung? Vorerst keine. Mittlerweile sei Russland nicht einmal mehr in den Top-10-Exportländern der Branche vertreten. In den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres lag das Minus über alle FMMI-Branchen hinweg bei 47,8 Prozent.
Auf das Gesamtjahr gerechnet, hat die österreichische Maschinen- und Metallwarenindustrie damit knapp 600 Millionen Euro an Exportwert verloren.

„Viele österreichische Unternehmen haben sich über Jahrzehnte ihre Standbeine am russischen Markt aufgebaut, die Sanktionen sorgen für Verärgerung“, sagt Krafft. Zumindest in dieser Form, denn Unternehmen aus den USA und Asien liefern weiter nach Russland, während zwischen der EU und Russland gewissermaßen Eiszeit herrscht. Das „Russland-Desaster“, wie es im jüngsten Branchenausblick des FMMI heißt, konnte in den ersten drei Quartalen 2015 nur durch die starken Exportzuwächse in die USA kompensiert werden.

Exporte sacken ab

Kurios erscheint in diesem Zusammenhang, dass gerade österreichische Maschinen- und Anlagenbauer zurzeit selbst von Russlands, teils notgedrungenem, Protektionismus profitieren könnten. Zumindest theoretisch. Für den gewünschten Aufbau der Inlandsproduktion würde derlei Technik nämlich „dringend benötigt“, wie Österreichs Handelsdelegierter in Moskau, Dietmar Fellner, der Kleinen Zeitung mitteilt. Weil Anlagen-Ankäufe aber nun einmal teure und langfristige Vorhaben seien, würden sich der „neue Wechselkurs und die erschwerte Geschäftsplanung besonders negativ“ auf diese Exportgruppe auswirken. Auch ein gewisser, „nach wie vor vorhandener Österreich-Bonus“, den sich die heimischen Unternehmungen über Jahre erarbeitet haben, helfe beim aktuellen Rubelkurs „wenig“.

Gesamt betrachtet gingen die österreichischen Exporte von Jänner bis Oktober 2015 um 40,5 Prozent auf 1,624 Milliarden Euro zurück. Für das abgerechnete Gesamtjahr rechnet Fellner „mit einem Rückgang von circa 40 Prozent“. Ob er überhaupt noch Exportchancen sieht? Ja, weil sich „österreichische Produkte durch ihre Qualität auszeichnen“. Und diese sei auch „bei den Russen bekannt“.

MARKUS ZOTTLER, CLAUDIA HAASE, MANFRED NEUPER