Irgendwo zwischen „mittelmäßig und unerfreulich“ hatte Anlegerschützer Wilhelm Rasinger das Börsenjahr 2014 angesiedelt. Die Wiener Börse kam damals schwer unter die Räder, der Leitindex ATX gab im Jahresverlauf um mehr als 15 Prozent nach. Deutlich besser, wenngleich kaum weniger turbulent ist das Börsenjahr 2015 verlaufen. Vor dem heutigen letzten Börsenhandelstag des Jahres lag der ATX mit rund elf Prozent im Plus. Ein auch im internationalen Vergleich beachtlicher Zuwachs.

Der Vorstand der Wiener Börse um Birgit Kuras und Michael Buhl verweist zudem auf die Verfestigung einer seit nunmehr zwei Jahren anhaltenden Entwicklung: Das Handelsvolumen am Wiener Parkett hat 2015 mit einer Steigerung von rund einem Viertel abermals kräftig zugelegt. „Zwei umsatzstarke Jahre liegen hinter uns, getrieben von internationalem Investoreninteresse“, bilanzieren die Börsenmanager, die auch für 2016 optimistisch sind. „Die Zinserhöhung in Amerika wird tendenziell die Attraktivität von europäischen Aktien im kommenden Jahr erhöhen“, so die Einschätzung.

Aktien als Alternative

Auch Friedrich Mostböck, Chefanalyst der Erste Group, sieht für die Wiener Börse im kommenden Jahr „intaktes Aufholpotenzial“. Er nennt mehrere Faktoren, auf die er seine Prognose stützt: Neben den niedrigen Zinsen im Euro-Raum, die Aktien tendenziell zu gefragten Anlagealternativen machen, führt er u. a. auch die mittlerweile wieder vielversprechenderen Wachstumsaussichten für Österreich sowie Zentral- und Osteuropa ins Treffen.

Auch die niedrigen Rohstoffpreise und ein im Vergleich zum Vorjahr deutlich schwächerer Euro sollten sich langfristig positiv auf zahlreiche Sektoren, etwa im Export, auswirken. Immobilienaktien, Technologie-, Industrie- und Dividendenwerte stehen auf Mostböcks Empfehlungsliste. „Das Börsenjahr ist gut gelaufen, Anleger in Wien können zufrieden sein“, bilanziert auch Anlegerschützer Rasinger. Neben der Sonne habe es aber auch Schatten gegeben. „Die Wiener Börse verzeichnete einige Abgänge von kleineren Unternehmen, neue Börsengänge gab es nicht, es gab kein frisches Blut“, so Rasinger. Ob sich das 2016 ändere, sei schwer einzuschätzen. „Potenzial für Börsengänge gibt es allein durch die vielen starken Familienunternehmen genug.“ Dafür brauche es aber auch eine positive Stimmung im Land.

Politik unterschätzt Börse

Insgesamt reflektiere der Kapitalmarkt in Österreich aus seiner Sicht nicht die Stärke der österreichischen Volkswirtschaft, „die Politik hat noch immer nicht erkannt, welchen wichtigen Stellenwert die Börse für den Standort hat“. Das könnte, befürchtet Rasinger, noch zu einem großen Problem werden, „weil Banken etwa bei Risikofinanzierungen durch neue Regularien immer weniger Spielraum haben, da ist ein funktionierender Kapitalmarkt von zentraler Bedeutung“.

Im Spannungsfeld zwischen geo- und geldpolitischen Herausforderungen sind Prognosen insgesamt mit Vorsicht zu genießen. Auch wenn es im kommenden Jahr etwas mehr Rückenwind für die heimische Konjunktur geben sollte, bleibt das Wachstum insgesamt bescheiden. Die niedrigen Rohstoffpreise sind nicht nur Chance, sondern auch Risiko.

Die Wirtschaftsentwicklung von zahlreichen Schwellenländern basiert auf Rohstofferlösen. Brechen diese weg, fallen die Länder auch als wachstumsstarke Absatzmärkte aus, was die Exportwirtschaft zu spüren bekommt. Kurz: Den Argumenten für eine weitere Belebung stehen mindestens so viele Gefahrenherde gegenüber, die an den Börsen Erschütterungen auslösen können. Bange Blicke werden etwa weiterhin Richtung China gerichtet. Die schwächelnde chinesische Konjunktur könnte die internationalen Börsen auch 2016 in Atem halten.